Viel Freiraum
Anilin, Oxalsäure usw.: In Kleidungsstücken hat es unzählige Chemikalien.
Die Entwarnung kam in sportlich-schneller Manier. «Es bestand zu keinem Zeitpunkt ein Gesundheitsrisiko», beruhigte der Sportartikelhersteller Nike seine Kunden. Die Konzentration der hochgiftigen Substanz Tributylzinn (TBT), die erst eine Woche zuvor in Fussballleibchen entdeckt worden ist, sei absolut unbedenklich. In Muscheln aus der Nordsee zum Beispiel, argumentieren die Nike-Verantwortlichen, seien TBT-Werte festgestellt worden, «die zehn- bis zwanzigmal höher sind als im untersuchten Sporttrikot».
Die Entwarnung ist inzwischen amtlich: Der TBT-Gehalt eines Leibchens des Deutschen Fussballklubs Borussia Dortmund ist so gering, dass er für den Träger laut Bundesamt für Gesundheit (BAG) tatsächlich keine Gefährdung darstellt. Trotzdem stellt sich für BAG-Sprecherin Sabine Kraut «die Frage, ob das TBT als Verunreinigung in das Shirt kam oder ob es gezielt eingesetzt wird». Nike blieb die Antwort bislang schuldig.
TBT-Rückstände wurden auch in Radlerhosen und Fitness-Tops festgestellt. Die Organo-Zinn-Verbindung ist bei Sportartikel-Herstellern beliebt, weil sie die Bildung von Bakterien auf Kunstfasern verhindert. Hohe Konzentrationen bewirken aber hormonelle Veränderungen bei Mensch und Tier.
TBT ist jedoch nicht die einzige problematische Chemikalie, die in der Bekleidungsindustrie verwendet wird. Eine Positiv- oder Negativliste für Chemikalien in Textilien gibt es in der Schweiz nicht. Ebenso wenig eine permanente Kontrolle der Textilien. Laut BAG stuft der Gesetzgeber die Gefährdung durch Kleider geringer ein als jene, die von Lebensmitteln ausgeht, und setzt auf die Selbstverantwortung der Produzenten.
Diesen Freiraum nutzen die Kleider- und Sportartikel-Hersteller aus. Zur Verwendung kommen unzählige Chemikalien, mit deren Bezeichnungen der Konsument nichts anfangen kann. Zum Beispiel antibakteriell wirkende Ammonium-Verbindungen, Benzimidazole und Isothiazolone. Stoffe, auf die gewisse Leute allergisch reagieren. Die Folgen sind Juckreiz und Hautausschläge.
Frottiertücher werden im günstigen Fall mit tierischen Fetten flauschig gemacht. Oft kommen aber synthetische Weichmacher wie Silikone zum Einsatz. Lederprodukte weisen häufig einen erhöhten Chromgehalt auf, nicht selten enthalten sie sogar Pentachlorphenol – eine Substanz, die Krebs auslösend wirken kann.
Sonnenschutz-Kleidung aus Solartex ist mit einem UV-absorbierenden Wirkstoff von Ciba behandelt. Der Wirkstoff auf der Basis eines Oxal-Anilids wird auf die Faser aufgetragen und verbindet sich mit ihr. Für Dieter Wundram, medizinischer Berater des deutschen Verbrauchermagazins «Ökotest», sind Anilin-Verbindungen «grundsätzlich problematisch: Anilin ist ein Leber- und Blutgift, Oxalsäure kann die Niere schädigen». In vielen Kleidern befindet sich immer noch Formaldehyd, das Allergien verursachen kann. Noch mehr Sorgen bereiten Medizinern die Farbstoffe: So finden sich in Kleidern Krebs erregende Azofarben sowie Farbstoffe oder Fixierer, die allergieauslösende und umweltschädliche Schwermetalle enthalten.
Andreas Bircher von der Dermatologischen Universitätsklinik in Basel empfiehlt, neue Textilien vor dem Tragen immer zu waschen. «Damit wird man die meisten problematischen Stoffe los.»