Wohnopoly – Der Wohnraum ist knapp
Der Wohnraum ist knapp, und die Vermieter treiben es mit ihrer Preispolitik immer bunter. Im Einzelfall schlagen die Mieten bis zu 50 Prozent auf.
Seit sie eine Wohnung sucht, liegt das Nervenkostüm blank. «Das ist ja wie auf dem Basar», nervt sich Katrin Ackeret*. Im Juni hat die 30-jährige Marketingfrau in Zürich eine 3-Zimmer-Wohnung besichtigt. Wyssgasse 6, Kreis 4. Ausgeschrieben vom bisherigen Mieter für 2000 Franken. So viel hat er bisher gezahlt – doch das ist Schnee von gestern.
Kurz und kühl war der Bescheid der Verwaltungsfirma Seitzmeir: «Plötzlich hiess es, ich müsse 245 Franken mehr zahlen», erklärt Ackeret: «Ich war total perplex.» Die teurere Miete entspricht einem Aufschlag von 12,3 Prozent.
«Wohnopoly» der Vermieter – seit freie Wohnungen knapp sind, wird abgezockt. Auf dem ausgetrockneten Markt feilschen Immobilienfirmen schamlos um höhere Mieten. Wenn sich viele Interessenten auf ein Inserat melden, gehen die Preise rauf.
Fast jeder zweite Mieterwechsel, hat das renommierte Rauminformationsbüro Wüest & Partner berechnet, führt auf dem Schweizer Wohnungsmarkt zu einem Preisaufschlag. Für das laufende Jahr rechnen die Immobilien-Profis bei den Mieten mit einem Preisschub von 6,5 Prozent.
Begründet wird das mit Kostenentwicklung und Anpassung an das örtliche Preisniveau. Zum Beispiel im Fall von Katrin Ackeret. Vermieterin Seitzmeir hält den höheren Preis für korrekt. Als Gründe nennt der zuständige Sachbearbeiter «Anpassung an den Mietindex, Hypothekarzins-Entwicklung und Kostensteigerung». Die Statistik zeigt aber, dass 3-Zimmer-Wohnungen im Kreis 4 im Schnitt 1360 Franken kosten – also deutlich weniger.
Im Frühling sank der Hypothekarzins bei den meisten Geldinstituten um ein Viertelprozent. Jetzt, im Sommer, müssten die Mieten sinken statt steigen. Doch oft ist das Gegenteil der Fall.
Für Wohnungssuchende mit bescheidenem Budget besonders bitter: Die Hypozinssenkungen wurden oft nicht weitergegeben – und jetzt steigen die Mieten bereits wieder.
«Die Notlage wird schamlos ausgenützt», weiss Niklaus Scherr, Geschäftsleiter des Zürcher Mieterverbandes: «Wenn wir in einen Versteigerungsmarkt kommen nach dem Motto ‹Wer zahlt am meisten?›, sind wir im Kasino.»
Für Katrin Ackeret ging der Spiessrutenlauf weiter. Zürcher Innenstadt, Obere Zäune 16. Zu vermieten: eine 3-Zimmer-Wohnung an begehrter Wohnlage. Bisher zu haben für 2100 Franken. Neu kostet die Wohnung 2500 Franken – das sind 19 Prozent mehr. Die Begründung von Vermieterin Primobilia ist erstaunlich ehrlich. Ackeret: «Man hat mir gesagt, es gebe sehr viele Bewerber, man habe gemerkt, dass man so viel verlangen kann.»
Die Sache sei «falsch gelaufen», gibt Rolf Schuhmacher, Geschäftsleiter von Primobilia, zu: «Der Mieter hat die Wohnung für den bisherigen Preis ausgeschrieben – wir hätten ihm mitteilen sollen, dass sie teurer wird.» Auch der Primobilia-Chef rechtfertigt die Abzockerei mit Anpassung ans örtliche Preisniveau. «Die Erhöhung ist verhältnismässig für das, was der Markt zulässt», meint Schuhmacher: «Wenn wir an den Meistbietenden vermieten würden, könnten wir an dieser Lage 3500 Franken verlangen.»
Sinkende Leerbestände – steigende Mieten. Nicht nur in Zürich ist der Markt in Bewegung. 10 Prozent aller Schweizer Miethaushalte mussten im Mai 2000 eine Preiserhöhung in Kauf nehmen, im August kamen weitere 5 Prozent hinzu und bis November 2000 nochmals 20 Prozent, wie die Mietpreiserhebung des Bundesamtes für Statistik zeigt. Peter Macher vom Schweizerischen Mieterverband bezeichnet die Lage schlicht als «katastrophal».
Nur noch 1,4 Prozent aller Mietwohnungen wurden im zweiten Quartal 2001 in Genf angeboten. Anfang 1998 warens noch fast fünfmal mehr: 6,3 Prozent. Prekär ist die Lage auch in Zürich mit einer Angebotsziffer von lediglich 1,3 Prozent – zu wenig, damit der Markt spielt. Auch Bern und Lausanne verzeichnen deutliche Verknappungsspuren.
Der Trend hat gewendet: Statt Landflucht gibts heute Stadtflucht. Als Folge des Wirtschaftsaufschwungs sind die Ansprüche gestiegen. «Man gönnt sich wieder mehr», erklärt Peter Macher: «Wenn sich jeder nur 0,1 Quadratmeter mehr Wohnraum leistet, nimmt die Nachfrage explosionsartig zu.»
Das bringt die Preise zum steigen. Bei den Rechtsberatungen der Mieterverbände häufen sich Klagen über Mietzinserhöhungen.
Zur Kasse gebeten werden vor allem Neumieter. Zum Beispiel die 30-jährige Gerichtsangestellte Clea Cremers. Die Welschschweizerin lebt mit ihrem fünfjährigen Sohn und ihrem Lebenspartner am Genfersee. Aus beruflichen Gründen muss die Familie nach Zürich übersiedeln. Von einer Mitarbeiterin der Grossvermieterin Livit bekommt Clea Cremers ein E-Mail mit vier freien Wohnungen aus dem Livit-Angebot. Eine Vierzimmerwohnung an der Stampfenbachstrasse 59 im Stadtkreis 6 sagt Cremers zu, auch die Monatsmiete von 1664 Franken ist günstig. Livit schickt den Mietvertrag zur Unterzeichnung – doch statt 1664 Franken kostet die Wohnung plötzlich 2517 Franken – eine Erhöhung von 51 Prozent. «Die machen, was sie wollen», nervt sich Cremers: «Nachdem ich reklamiert hatte, hiess es, dass man mit mir keinen Mietvertrag mehr abschliessen wolle.»
Bei grossvermieterin Livit, die zur Rentenanstalt/Swiss Life gehört und schweizweit 134’000 Wohnobjekte verwaltet, hat man eine einfache Erklärung parat: «Der Mietzins wurde über Jahrzehnte nicht mehr angepasst», winkt Barbara Schab, Leiterin Vermietung, ab. Grund für die teurere Miete auch hier: «Anpassung an die Orts- und Quartierüblichkeit.» Einen Zusammenhang mit dem ausgetrockneten Wohnungsmarkt kann Schab nicht ausmachen: «Ein Einzelfall.»
Die Preistreiberei bei Mieterwechseln ist für Konsumentenschützer Peter Macher «mehr als stossend»: «Wenn keine Mehrleistung vorliegt, ist das völlig daneben.» Wildwestmethoden auch im Internet: «Dort gibts richtige Lockvogelinserate», weiss Macher: «Die inserierten Wohnungen sind zum Teil gar nicht vorhanden – wenn sich die Leute melden, versucht man, ihnen etwas anderes anzudrehen.»
Ruppige Sitten – die Vermieter können sichs leisten. Die Nachfrage boomt vor allem bei grossen Wohnungen mit fünf und mehr Zimmern. Während gesamtschweizerisch bei kleinen Wohnungen nach wie vor über sieben Prozent zur Neuvermietung ausgeschrieben werden, sind es bei den grossen Mietobjekten nur noch drei Prozent – Tendenz stark sinkend.
Entsprechend werden die Mieten vor allem in diesem Segment teurer. In den ersten drei Monaten dieses Jahres, hat Wüest & Partner ermittelt, wurde nur eine von 20 Wohnungen bei Neuvermietung billiger – es handelte sich dabei vor allem um kleine «Logen» bis 2,5 Zimmer, von den grossen Wohnungen ist keine einzige im Preis gesunken.
Sogar die öffentliche Hand nutzt die Situation aus. In Basel erhielten die Mieter der städtischen Liegenschaft am Bläsiring 40 die Kündigung. Die Besitzerin – die Einwohnergemeinde Basel – will Wohnungen zusammenlegen. «Es gibt einen Verdrängungsmechanismus, um zu grossen Wohnungen zu kommen», sagt Patrizia Bernasconi, Geschäftsleiterin des Mieterverbandes Basel-Stadt: «Man will potente Steuerzahler anlocken.»
Druck auf die Mieten – auch die zunehmende Auslagerung von Liegenschaften in börsenkotierte Immobiliengesellschaften treibt die Preise in die Höhe. «Liegenschaften werden heute aggressiver bewirtschaftet», sagt Niklaus Scherr vom Züricher Mieterverband: «Die Preisstabilität nimmt deutlich ab.»