Männer zeigen Zehen

Männer zeigen Zehen

Im kommenden Frühjahr treten Männer neu auf: Sockenlos in Sandalen.

Einen Designer darf nichts aus den Latschen kippen. Wie zweimal im Jahr die Mode neu erfinden, wo doch alles schon da gewesen ist? Breite Krawatten, spitze Kragen, mal trug man das Hemd über der Hose, mal stopfte man es hinein.

Und immer wieder kam und ging die Herrensandale.
Seit Jahren schon sind Unternehmen wie Prada oder Gucci bestrebt, den Mannen die offenen Treter als Fortschritt zu verkaufen. Doch nun, im kommenden Frühjahr, gibt es kein Entkommen mehr. Die Präsentationen der neuen Herrensommermode in Paris und Mailand wurden zum Massenaufmarsch der Patschenträger. Egal, ob Valentino und Moschino, ob Byblos oder Calvin Klein – wer immer modisch was zu sagen hat, liess seine Jungs zehen- und fersenfrei frei aufs Publikum los.

Nur Ignoranten wagen es, die Wiedergeburt des Pantoffelhelden als optische Apokalypse zu verdammen. Denn das rückschrittliche Modell «Hineintreten und blöd aussehen» von Müslis, AHV-Bezügern und sonstigen modischen Blindgängern ist nur ein Ausrutscher in der Geschichte des aufrecht gehenden Mannes. Die Weltsicht der neuen Sandalengänger hingegen fusst auf einer langen, weltumspannenden Tradition. Trugen nicht die wichtigen Männer der beiden vergangenen Jahrtausende Sandalen? Jesus bewies modische Sensibilität, als er in offenen Tretern über den See Genezareth wandelte. Alexander der Grosse fürchtete keine Schwielen, wenn er den Persern in einem flott geschnürten Riemchenmodell entgegentrabte. Hannibal scheuchte seine Elefanten in Vorläufern von Birkenstock und Adilette über die Alpen. Und ein Gandhi in rahmengenähten Rindsledernen ist schlechterdings unvorstellbar.

Das Revival der Herrensandale im Hier und Jetzt ist freilich kein Zufall: Zur offenen Gesellschaft gehört der offene Schuh. Was allerdings nicht heisst, dass nun jeder tragen kann, was er will. In der schönen modernen Sandalenwelt gelten strenge Gesetze. Regel Nummer eins: Alles, nur keine Sandalen zu kniekurzen Shorts. Comme il faut ist ausschliesslich das lange, Krampfadern und Stachelbeerbeine schamhaft verhüllende Beinkleid aus gutem Tuch. Mit gepflegter Bügelfalte, versteht sich. Wo männliche Vollkostümierung erforderlich ist – im Büro, beim Vorstellungsgespräch, bei der Konfirmation -, kommt sogar der Anzug in Kombination mit offenem Schuhwerk zum Tragen. In der Freizeit knotet sich der Schlappenträger dann kess – wie bei Moschino gesehen – einen knieumspielenden Pareo mit Perlenstickerei unters Sakko. Dass Latschen aus dem Ausverkauf in diesem Fall untragbar sind, ist klar: Vom Edelschuster müssen sie sein, in der Preislage ab 400 Franken.
Dafür erübrigt sich die Anschaffung von kostspieligen Strümpfen und Socken. Denn auch Regel Nummer zwei duldet keine Ausnahme: In eine Sandale gehört ein Männerfuss, so nackt, wie Gott ihn schuf. Wer Socken trägt, womöglich noch welche aus weisser Baumwolle, kann sich gleich erschiessen. Die Entschuldigung, dass die Medizin den Erfordernissen des Nackt-Schlappenträgers noch ziemlich kläglich hinterherhinkt, zählt nicht. Denn was kümmerts die Modemacher, dass die Ausrottung von Hühneraugen, Hammerzehen, eingewachsenen Zehennägeln und säuerlichem Fussschweiss nach wie vor zu den unerfüllten Menschheitsträumen zählt?

Könnten die Designer den Gang der Dinge tatsächlich beeinflussen, dann wären ihre Fuss-Libertinäre immerhin die Ersten auf dem Vormarsch in eine neue Epoche. Eines fernen schönen Tages, wenn der Schweizer Bundespräsident in Latschen von Prada den Usurpatoren der Europäischen Gemeinschaft – alle mit Valentino-Flip-Flops an den Füssen – entgegentritt und nur noch ein sanftes Schlapp-Schlapp in der Luft liegt, dann wird die Welt eine bessere sein. So viel ist sicher.

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