Bertrand Piccard: «Ich will noch ins All»
Bertrand Piccard ist es gelungen, mit dem Ballon die Welt zu umrunden. Jetzt beschreibt er mit seinem Kopiloten Brian Jones in einem Buch, was er erlebt hat. – bringt einen Vorabdruck.
–: Herr Piccard, welche Frage wurde so oft gestellt, dass Sie sie nicht mehr hören können?
Bertrand Piccard: Was machen Sie seit der Fahrt?
–: Und, was haben Sie gemacht?
Piccard: Brian Jones, mein Kopilot, und ich haben über unsere Stiftung «Winds of hope» gesprochen. Die Leute finden, nach einem Abenteuer muss man gleich zum nächsten. Das finde ich nicht. Die Weltumrundung hat fünf Jahre Vorbereitung, Opfer und Glück gebraucht. Ist das überstanden, kann man gut für einige Jahre ruhig bleiben.
–: Arbeiten Sie wieder als Psychiater?
Piccard: Weniger als vorher. Ich behandle nur Patienten, die ich vor der Fahrt hatte. Sonst halte ich Vorträge bei Firmen, Organisationen und Schulen.
–: Können Sie je wieder so weiterfahren wie vor der Fahrt?
Piccard: Ich habe viel gelernt. Über das Leben, den menschlichen Geist, die Entstehung von Angst. Es war ein ganzes Leben gepresst in drei Wochen: Emotionen, Schwierigkeiten, Erfolge. Ich weiss nun besser, was wichtig ist. Sich vom Wind im Ballon um die Erde treiben lassen ist wie die Erde umarmen. Wenn die Leute Krieg am Fernsehen sehen, denken sie, das ist weit weg. Das kann ich nicht mehr. Was in der Welt passiert, berührt Brian und mich mehr als zuvor. Darum haben wir die Stiftung gegründet.
–: Was wollen Sie erreichen?
Piccard: Budweiser hat einen Preis für die Weltumrundung mit dem Ballon ausgesetzt. Die Zinsen, die die Million Franken abwirft, vergeben wir jährlich am Starttermin des Ballons an Leute, die gegen vergessene Leiden kämpfen.
–: Haben Sie konkrete Pläne?
Piccard: Wir schauen uns die Dossiers an. Ein Beispiel: Jemand will gegen eine afrikanische Krankheit namens Noma kämpfen. Niemand kennt die Krankheit, auch viele Ärzte nicht. Es ist eine Art Lepra im Gesicht von Kindern. Sie zerstört ein Gesicht vollständig. Es ist entsetzlich. Aus Angst setzen Eltern ihre Kinder im Wald aus. Wenn die Ärzte die Krankheit zu Beginn erkennen, reichen 50 Franken, um ein Kind zu heilen.
–: Wann kam Ihnen die Idee für die Stiftung?
Piccard: In der zweitletzten Nacht der Fahrt war klar, dass wir eine unglaubliche Chance hatten zu gewinnen. Da dachte ich, wir müssen andere Leute von der Chance profitieren lassen.
–: Die Idee, die Fahrt für andere einzusetzen, kam also erst auf der Reise. Was trieb Sie dann zur Umrundung?
Piccard: Uns hat die Symbolik der Reise gereizt, mit der Kraft der Natur die Erde zu umrunden. Wir nutzten eine komplexe Technologie, um mit dem Wind zu spielen, nicht um die Natur zu kontrollieren. So waren wir der Natur nahe. Natürlich war es auch interessant, weil es das letzte grosse Abenteuer der Luftfahrt war.
–: Kein Versuch, ein würdiger Teil der Familie Piccard zu sein?
Piccard: Als Psychiater habe ich oft darüber nachgedacht. Was mich am meisten geprägt hat, ist nicht irgendein Druck, das Gleiche wie mein Vater oder Grossvater zu tun. Als Kind habe ich viele Astronauten, Entdecker, Abenteurer getroffen. Alles Bekannte meines Vaters – und die Helden meiner Kindheit. Keine Helden aus Büchern, sondern solche, die bei uns zum Essen waren. Sie hatten ein extrem reiches Leben. Das wollte ich auch: Teil der Geschichte sein.
–: Sie sagten, Sie seien der Natur nahe gewesen, waren aber in einer winzigen Kapsel eingesperrt. Ist ein Abenteurer zu Fuss der Welt nicht näher?
Piccard: Ein Abenteurer zu Fuss sieht nicht die Aussicht, sondern den Boden. Auch in der Kabine fühlten wir uns der Welt nah. Die Kapsel schützte uns, sie begrenzte uns nicht. Wir fühlten uns inmitten des Himmels. Es war ein Gefühl des Fliegens, nicht des Gefangenseins.
–: Was war die grösste Leistung während Ihrer Fahrt?
Piccard: Vieles. Es brauchte das beste Team, die besten Meteorologen, das beste Material, die besten Piloten. Wir mussten akzeptieren, dass wir es nicht schaffen könnten und uns lächerlich machen. Und wir mussten Momente durchstehen, in denen wir wirklich Angst hatten.
–: Welche waren das?
Piccard: Als über dem Pazifik alle Kommunikationswege versagten, wir verloren waren in der Mitte des Nirgendwo. Wir kamen nur schleichend voran, brauchten eine Woche statt den geplanten zwei, drei Tagen. Aber der Golf von Mexiko war der Tiefpunkt. Da dachten wir, wir schaffen es nicht: Fast kein Treibstoff mehr, zu langsam in die falsche Richtung treibend, krank.
–: Was ging da in Ihnen vor?
Piccard: Wir wollten durchhalten.
–: Der schönste Moment?
Piccard: Es gab viele. Einer war, als der Wind über dem Golf von Mexiko sich in die richtige Richtung drehte. Das war magisch.
–: Die Öffentlichkeit war per Funk und Video in ihrer Kabine dabei. Ist es noch ein Abenteuer, wenn alle zusehen, wie die Helden ins Bett gehen?
Piccard: Ja. In erster Linie drehten wir die Filme für uns. Aber wir wollten auch den Leuten unsere Reise erklären. Es entstand ja eine enorme Leidenschaft während der Fahrt. Viele wollten mitfliegen. Als wir zurückkamen, dankten die Leute mehr, als sie gratulierten: Danke, dass Ihr uns zum Träumen gebracht habt.
–: Wertet solcher Trubel ein Abenteuer nicht ab?
Piccard: Nein. Im Notfall hätte uns keiner helfen können, selbst wenn wir gerade über Funk gesprochen hätten. Die Fahrt war ein Team-Abenteuer. Ich respektiere alle, die allein die Antarktis durchqueren. Das ist schön, aber egoistischer.
–: Ihrer Familie gegenüber war die risikoreiche Reise nicht egoistisch?
Piccard: Wir haben in der Familie viel über die Fahrt gesprochen. Meine Frau stand hinter mir, sie nahm teil und half.
–: Wären Sie gegen ihren Willen gestartet?
Piccard: Ich kenne meine Frau seit 22 Jahren. Ich bin schon Delta gesegelt, als ich sie kennen lernte. Es ist nicht ihr Stil, so zu denken.
–: Warum braucht es Helden?
Piccard: Die Menschen brauchen Vorbilder, die zeigen, dass man mehr erreichen kann, als man glaubt. Dass man mit Arbeit, Risiko und Durchhaltevermögen einen Traum realisieren oder eine schwierige Situation meistern kann.
–: Sind Sie jetzt ein Held?
Piccard: Das kann nicht ich sagen. Ich fühle mich nicht anders als vorher. Mein Kopf ist nicht geschwollen vor Stolz. Für die Leute wurden wir Helden, weil sie während der Fahrt etwas Grosses gefühlt haben. Aber Held zu sein ist kein Ziel.
–: Helden werden demokratisch gewählt?
Piccard: Ja. Niemand kann sich selbst ernennen, das ist lächerlich. Als wir in Genf ankamen, hatten wir keine Ahnung, wie viele Leute zum Flughafen kommen. Als wir die Menge sahen, dachten wir, offensichtlich mögen sie, was wir taten.
–: Gab es negative Reaktionen?
Piccard: Unter Tausenden Briefen etwa zwei, drei. Die sagten, nütze das Geld
für etwas Intelligenteres. Vor der Fahrt warens mehr; die Leute dachten, die Weltumrundung sei unmöglich, und Piccard macht nur weiter, damit man über ihn spricht. Ein Abenteurer sagte, man braucht nur genug Geld, um die Welt zu umfliegen. Klare Eifersucht. Dabei versagten die Millionäre: Steve Fosset, Richard Branson. Die Einzigen, dies geschafft haben, waren nicht Millionäre.
–: Gibt es Dinge, die Sie nach dem Schreiben des Buches anders sehen?
Piccard: Ich verstehe besser, was Brian erlebt hat, während ich schlief. Zum Beispiel waren die Spannungen zwischen Brian und dem Kontrollzentrum stärker, als ich mitbekam.
–: Hätte Ihnen das Angst gemacht, falls Sies gemerkt hätten?
Piccard: Nein. Aber vielleicht hätte ich etwas mehr vermitteln können.
–: Sie wirken immer ruhig. Sind Sie nie wütend?
Piccard: Doch.
–: Das sieht man aber nie.
Piccard: Ich bin nicht oft wütend. Und wenn, dann zerschlage ich keine Tische.
–: Gab es Fälle während des Projekts?
Piccard: O ja, einige. Als die Aufhängekabel der Kabine des Orbiter 2 rissen, raste ich vor Wut – das war so idiotisch.
–: In ihrer Familie hat sich keiner mit nur einem Abenteuer zufrieden gegeben. Was wollen Sie noch tun?
Piccard: Ich will noch ins All.