So machen Sie mehr aus Ihrem Geld
Wann ist der Zeitpunkt, in Aktien zu investieren? Wie entwickelt sich die Börse? Welche Empfehlungen geben prominente Investoren für das laufende Jahr? Welche Art der Anlage lohnt sich besonders? Hier finden Sie die Antworten.
Auf den Schreibtischen von Hunderten von Börsenhändlern, Analysten und Investoren in Zürich, London und New York landet jeweils Anfang Jahr ein sorgfältig verschnürtes Paket aus dem US-Kaff Old Tappan. Inhalt: eine grüne Ringbuchagenda. Einzelne Tage darin sind mit bedrohlichen Symbolen gekennzeichnet: der 21. Januar mit einem schwarzen Totenkopf. Am 17. März warnen gleich drei Totenköpfe vor Unheil.
Das Buch ist nicht die Bibel einer okkulten Endzeit-Sekte. Es ist ein wichtiges Hilfsmittel für die Entscheidungsträger der globalen Aktienmärkte. Die Totenköpfe weisen auf besonders risikoreiche Börsentage hin.
Der von der angesehenen Hirsch Organization im US-Staat New Jersey jährlich herausgegebene «Stock Trader?s Almanac» berechnet das Auf und Ab an den Börsen nach saisonalen Mustern. Mittels einer Fülle von Statistiken, die bis ins Jahr 1950 zurückreichen, haben die Hirsch-Ökonomen die besten und schlechtesten Monate, Wochen, ja Tage für Investments herausgearbeitet. Zu den Lesern des «Almanacs» gehören renommierte Profis wie Gail Dudack, Chef-Investment-Strategin der UBS in New York, und sowohl in den USA als auch in der Schweiz eine wachsende Zahl von Privatanlegern.
Seit dem Beginn des Börsenjahrs 2000, das sich mit einem kleinen Crash einführte – die Schweizer Börse sackte an einem Tag um vier Prozent ab –, ist die Nervosität der Anleger in Europa und den USA gestiegen. Nicht zuletzt die Erkenntnisse der Börsenmathematiker waren es, die dazu beitrugen, nach dem ersten Schock wieder Optimismus zu verbreiten. Denn die Zahlen aus einem halben Jahrhundert Börsengeschichte zeigen: Meist wurden Ende Januar höhere Kurse notiert als zu Beginn.
Der Januar sei in der Regel ein Up-Monat, hält eine CS-Studie fest.
Um an der Börse Geld zu verdienen, gibt es im Prinzip drei Möglichkeiten: Entweder man weiss, was man kaufen muss – welche Aktien man herauspicken will, um überdurchschnittliche Kurssteigerungen zu erzielen. Oder man weiss, wo man kaufen muss, welche Aktienmärkte – in Asien, in den USA oder Europa – besser als die anderer Länder abschneiden. Oder aber: Man weiss, wann man kaufen muss.
Dieser dritte Faktor – das Wann – dürfte eine überdurchschnittliche Bedeutung gewinnen. 2000 verspricht zum Jahr des Timings in den Anlagestrategien zu werden.
Saisonale Schwankungen der Aktienbörsen sind statistisch erhärtet. In der Schweiz wie in den USA sind Dezember und Januar überdurchschnittlich gute Börsenmonate, August und September schlechte. Die Monatsrendite der Schweizer Börse betrug im Dezember jeweils 2,6 Prozent. Wären alle Monate so gut wie der Dezember, würde die Jahresrendite über 30 Prozent betragen. Im September liegt die Rendite mit minus 1,38 Prozent in der Verlustzone.
Zu Tage trat dies auch in den letzten beiden Jahren: 1998 sackte die Schweizer Börse im September um 13 Prozent ab, 1999 verlor sie 1,3 Prozent. Die Börsianer haben solch statistische Erkenntnisse in simple Regeln wie «Sell in May and go away» gepackt. Anleger, die sich daran hielten, haben viele Kursstürze des Spätsommers vermeiden können.
Heuer wirds besonders interessant, weil in den USA, deren Börsen den Trend auch für die Schweiz setzen, ein Wahljahr ist. Und in Jahren, in denen der neue US-Präsident gekürt wird, bewegt sich die Börse nach einem fixen Fahrplan.
So sind US-Wahl- traditionell gute Börsenjahre – der Aktienindex ist seit 1960 im Wahljahr um durchschnittlich acht Prozent gestiegen. Ebenfalls klar präsentiert sich die Zeit unmittelbar vor der Wahl. So sind die letzten 30 Tage laut Klaus Wellershoff, Chefökonom Schweiz der UBS, «plötzlich signifikant positiv». Trifft dies auch für 2000 zu, ist für Anfang Oktober ein Börsenhöhenflug zu erwarten, der anhält bis zur Präsidentenwahl am 7. November. Vor allem die zehn Tage davor sind besonders gut.
Bei der letzten Wahl von 1996 stieg die Schweizer Börse in der Zeit von Oktober und November um über vier Prozent. Nie in den letzten zwanzig Jahren hatte sie einen negativen Oktober in einem Präsidenten-Wahljahr. Die statistische Grundlage für das Phänomen gilt, sagt Wellershoff, als «sehr robust».
Auch wenn die meisten Experten saisonale Schwankungen ernst nehmen, stimmen die wenigsten Profis ihre Anlageentscheide voll darauf ab. Weil trotz der klaren Muster sich in einzelnen Jahren Ausnahmen von der Regel zeigen. 1995 etwa verlor der Schweizer Aktienindex im Januar drei Prozent. Das macht die Sache riskant. «Ich benutze das eher als Hintergrund-Information», sagt UBS-Mann Wellershoff.
Diese Zurückhaltung scheint sich zu ändern. Während in den USA Investoren wie Sy Harding längst raten, nach Zyklen zu investieren, hat der Trend jetzt auch die Schweiz erreicht. Die Privatbank Wegelin hat auf 1. Dezember ein Finanzprodukt mit dem Namen Sijaga lanciert, Abkürzung für «Sell in June and go away».
Die Auswertung der Schweizer Börsenkurs-Entwicklung seit 1985 zeigt, dass im Schnitt von Juli bis November keine Kursgewinne gemacht wurden. In den guten Monaten Dezember bis Juni hingegen wurden 100 Prozent der Kurssteige-rungen der letzten 15 Jahre erzielt.
Wegelin ergänzte die alte Börsenregel «Sell in May and go away» um den Monat Juni und kreierte daraus ein Finanzprodukt für die Kunden. In der Schweiz ist der Juni – im Gegensatz zu den USA – mit einer Steigerung von 2,77 Prozent seit 1985 der beste Börsenmonat.
Beim Sijaga-Produkt haben die Kunden nur während der traditionellen Hausse-Monaten investiert, die Baisse-Monate sind ohne Wirkung. Die Anleger haben seit Lancierung über 40 Millionen in das Sijaga-Produkt von Wegelin eingeschossen. «Ein guter Start», ist Steffen Tolle, geschäftsführender Teilhaber, zufrieden. Die älteste Schweizer Bank sieht sich gar als Trendsetter. «Andere werden nachziehen», ist Tolle überzeugt.
Der Grund, warum 2000 ein Comeback der Timing-Strategien feiert, liegt an der gestiegenen Unsicherheit der beiden anderen grossen Ws. Das Was und das Wo als primäre Anlagefragen sind heute deutlich schwieriger zu beantworten.
1996 und 1997 waren Wo-Strategien sehr erfolgreich. In Asien brachen 1997 die Aktienmärkte ein, während in Europa und den USA die Börsen zum Teil kräftig anstiegen. 1997, vor allem aber 1998 und 1999 waren die Was-Jahre. Wer 1997 auf einzelne Bluechips setzte, konnte überdurchschnittliche Gewinne erzielen. Zwei Drittel des Index-Gewinns Ende 1997 entfielen auf nur fünf Aktien wie Novartis oder UBS. 1998 und 1999 glänzten Internet-Aktien wie Yahoo! oder Amazon.com. Der Nasdaq-Index, der die Entwicklung im Hightech-Bereich spiegelt, stieg 1999 um 85 Prozent.
2000 sind die Strategien weniger klar. Asiens Börsen haben sich kräftig erholt, bleiben aber riskant. Die Börsen in Europa und den USA sind ausgereizt. In der vernetzten Weltwirtschaft haben sogar bisher vernachlässigte Märkte aufgeholt. Finnland nahm 1999 um 193 Prozent zu. Unterbewertete Länder zu finden wird schwieriger.
Beim Was herrscht ebenfalls wenig Klarheit. Es ist zwar offensichtlich, dass Bereiche wie Hochtechnologie und Internet die Branchen der Zukunft sind, aber deren Aktien sind überbewertet und bergen Risiken. Die hohe Kadenz lässt sich – trotz Fusion von AOL und Time Warner – nicht aufrecht erhalten.
Bleibt das Wann. Er sehe eine Entwicklung hin zum Timing und zu saisonalen Investitions-Mustern, erklärt UBS-Chefanalyst Wellershoff. Wenn dies aber zur primären Anlagestrategie werde, wie jetzt, sei das «ein Akt der Verzweiflung» und deute eher auf ein «Endzeitphänomen» hin – ein Indiz, dass der Börsenboom seinem Ende entgegengeht.
Laut Experten ist es wichtig zu unterscheiden, welche der saisonalen Zyklen kausale Gründe haben und welche auf statistischen Zufälligkeiten beruhen. Gut weg kommt im Urteil selbst kritischer Beobachter der Präsidentschaftszyklus. Vom neuen US-Präsidenten erwarten die Anleger wirtschaftliche Verbesserungen. Positive Zukunftseinschätzungen sind ein wissenschaftlich anerkannter Grund für steigende Kurse.
Mit Argumenten gut abgestützt ist auch der Trend, dass die Monate November bis und mit Januar sowohl in der Schweiz als auch in den USA gute Börsenmonate sind. Der Grund ist die «Periodizität der Geldströme» – die Tatsache, dass in dieser Jahreszeit am meisten Geld in die Aktienmärkte fliesst. Allerorts sind die Taschen voll. Individuelle Investoren können ihre Boni oder ihren 13. Monatslohn in Aktien umwandeln.
Institutionelle Investoren wie Pensionskassen und Fonds investieren die gegen Jahresende zufliessenden Mittel – aus Zinszahlungen, Ertragsausschüttungen oder Auszahlungen ablaufender Obligationen – an der Börse. Der Kapitalzufluss beginnt im November, dauert bis Juni.
Für die traditionelle Sommerbaisse sind die Argumente weniger überzeugend. Die Tatsache, dass es im August oft zu Kurseinbrüchen kommt, begründet die «Sunday Times» damit, dass die Chefaktienhändler dann in den Ferien sind und «nervöse Stellvertreter» an den Schaltstellen der Börsenmacht wirken.
Die meisten Experten bevorzugen eine andere Erklärung: Wenn genug Leute auf Grund der bisherigen Erfah-rungen einen Sommertaucher erwarten, wird sie genau darum eintreffen. Man steigt vorsorglich aus dem Aktienmarkt aus und verursacht damit eine Verkaufswelle – das klassische Beispiel einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung.