CeBIT: Das Internet im Zentrum
Noch nie wurde an der Computermesse CeBIT in Hannover so viel Neues vorgestellt. Ein Trend überlagert alles: Das Internet wird zum Wachstumsmotor der Wirtschaft.
Es ist die schiere Masse, die den Besuchern entgegenbrandet. Unten in Halle 1 drängt aufgeregt das Publikum wie ein zäher Teig vor Tausende bunt flimmernde Bildschirme. Zwei Stockwerke höher lehnt Hans-Jürgen Götz sich gegen einen Stehtisch und redet gegen den Hintergrundlärm an. «Wir müssen möglichst viele Menschen ins Internet bringen», sagt der IBM-Marketingleiter.
Tatsächlich: Das Internet ist der Megatrend an der CeBIT 2000 in Hannover. Welche neue Software die Hersteller an Europas grösster Computermesse auch vorstellen – ohne Anbindung ans weltweite Datennetz kauft sie keiner mehr. Das Gleiche ist bei der Hardware festzustellen, ob es sich dabei um PCs handelt, um digitale Assistenten oder um Mobiltelefone. Das zeichnete sich zwar seit einiger Zeit so ab, doch die Entwicklung hat sich sehr beschleunigt: «Schon in wenigen Jahren wird sich der Begriff E-Business erübrigt haben», erwartet Peter Mark Droste, Vorsitzender der Geschäftsführung von Compaq Deutschland. Dann nämlich soll es keine Firma mehr geben, die nicht das Internet in ihre Geschäftsprozesse eingebunden hat: «Wer in Zukunft erfolgreich geschäften will, kommt nicht um das Web herum.»
Das zeigt sich auch in einer wahren Ausstellerflut. 7802 Firmen präsentieren seit Donnerstag vergangener Woche ihre Produkte auf dem Hannoveraner Messegelände, 417 286 Quadratmeter sind dazu nötig – so viel wie noch nie. Wer in diesem Umfeld noch PC-Spiele anpreist oder billige Tintenstrahldrucker, ist am falschen Ort. Hier geht es um die ganz grossen Geschäfte und um Technologien, die rasant zusammenwachsen. Die CeBIT ist der Ort, an dem insgeheim neue Allianzen geschmiedet und Spitzenkräfte der Konkurrenz abgeworben werden. Um so dankbarer staut sich das gemeine Publikum vor Ausstellungsstücken, die es versteht: vor Mobiltelefonen mit ganz neuen Funktionen beispielsweise oder vor schnellen PCs mit Windows 2000.
Die ganze Bevölkerung soll ins Web
Doch auch der herkömmliche Computer ist nur mehr ein Ding, mit dem Normalverbraucher ins Internet hineinsehen können. «Edge of Network», heisst das etwa bei IBM, und darunter versteht man eine neue Generation von Geräten, die eben die äusseren Grenzen einer vernetzten Welt markieren. Es geht jetzt vor allem darum, jene Leute ins Internet zu locken, die sich nie im Leben einen Computer kaufen würden. «Meine Grossmutter etwa», sagt Götz, und meint den Teil der Bevölkerung, dem es zu kompliziert ist, einen PC einzurichten und dessen Sprache zu lernen, nur um im E-Kommerz einzukaufen. Also baut man Geräte wie das «Internet Appliance» mit 10-Zoll-Flachbildschirm und über Infrarot verbundene Tastatur, das so einfach funktioniert wie ein Telefon: Man braucht nur Strom und eine Telefonleitung, um auf Knopfdruck mit der Webwelt verbunden zu sein.
«Noch nie», stellte selbst der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder bei seiner Eröffnungsrede fest, «war bei der CeBIT eine solche Aufbruchstimmung zu spüren.» Mit allen Mitteln, scheint es, will das Informatikgewerbe die Menschen ins Internet bringen. 800 Milliarden Franken sollen im Jahr 2003 in Europa im E-Kommerz ausgegeben werden, in ganzen Industriezweigen haben tiefgreifende Veränderungen eingesetzt. Die Riesenschau in Norddeutschland macht den Umbruch bildlich – es gibt nicht mehr wenige herausragende Neuheiten, sondern Tausende.
Da den Überblick zu wahren, ist kaum mehr möglich. So strömt das Publikum durch die Hallen, schon gegen Mittag sind die Blicke leer und die Arme gelängt vom Gewicht schwerer Kataloge und Prospekte. Dabei findet das wirklich Neue nicht an den Ständen statt, sondern im geschlossenen Zirkel in Konferenzräumen am Rande des Spektakels. Dort treffen sich die Wichtigen aus Informationstechnologie und Telekommunikation, um die nächste Zukunft zu bestimmen.
Und die heisst E-Business. «In den nächsten Jahren», sagt Peter Mark Droste, «werden Hunderttausende von Firmen den Weg ins Internet antreten müssen.» Da wartet ein weitaus grösseres Geschäft, als wenn man Konsumenten die neusten PCs verkauft. Denn diese Hunderttausenden von Firmen benötigen Netzwerke, Applikationen und vor allem viel Betreuung – für viele ist es der grösste Umbruch ihrer Geschichte.
Das Netz als Basis für alle Geschäfte
Als Intel-Vizepräsident John E. Davies in Saal 1A des Kongresszentrums auf die Bühne steigt, hat er auch schon eine Umschreibung bereit für das, was sich an der CeBIT ereignet. «Wir sind am Übergang von der zweiten zur dritten Generation des elektronischen Handels», sagt er. Am Anfang hat man sich und seine Produkte einfach im Web gezeigt, dann konnten sie die Kunden per Mausklick bestellen, nun wird das Internet in die gesamte Geschäftstätigkeit eingebunden. Alle Kontakte, ob mit Zulieferanten, Handelspartnern oder eben den Kunden, werden über das Web automatisiert. «Das Internet», sagt Davies, «durchdringt die ganze Wertschöpfungskette.»
Also: Die Kunden bestellen, und automatisch wird der Lagerbestand nachgeführt. Nicht nur das – neigt sich der Vorrat zu Ende, wird das betroffene Produkt elektronisch gleich beim Hersteller nachbestellt. Doch leider ist das erst nach zwei Wochen lieferbar, weshalb die Kunden umgehend per E-Mail über die Verzögerung benachrichtigt werden. Stornieren sie nun ihre Bestellungen in grosser Zahl, sucht das System nach einem Anbieter mit gleichwertiger Ware. Ist die gefunden, bekommen alle Abbesteller eine weitere Nachricht mit neuer Offerte. «Die Information», findet Davis einen weiteren Begriff, «verlässt zu keinem Zeitpunkt die digitale Pipeline.»
Natürlich braucht man dazu schnelle Rechner mit Hochleistungschips, wie sie Intel in der zweiten Jahreshälfte auf den Markt bringen will. Das sind Pentium III mit mehr als 1 Gigahertz sowie der Prototyp «Willamette» mit 1,5 Gigahertz.
Vom E- zum Mobile-Commerce
Mobilität soll im E-Business ebenfalls eine immer wichtigere Rolle spielen. Das ist bei der CeBIT nicht nur an Notebook-PCs ersichtlich, die neuerdings mit bis zu 650 MHz schnellen Pentium III ausgerüstet sind. Noch deutlicher macht die Situation der Trend zu drahtlosen Endgeräten. WAP-Mobiltelefone sind ohnehin ein Dauerbrenner im Moment (siehe auch S. 67), doch bei Ericsson wird vermehrt auch an Menschen gedacht, die weder mit PC noch Handy im E-Kommerz einkaufen wollen: Für sie wurde das ab Anfang 2001 erhältliche «Screen Phone SC210» entworfen. Damit kann man in der Küche oder auf dem Sofa durch Webseiten blättern. Über Bluetooth-Funk ist das schnurlose Gerät mit der Basisstation verbunden, bedient wird es über den berührungsempfindlichen Flachmonitor, und telefonieren kann man damit ebenfalls.
So nähern sich Telefon und Computer offensichtlich immer mehr an. Was die Sache für das breite CeBIT-Publikum dabei so verwirrlich macht, ist die Tatsache, dass auch andere Branchen am Internet und seinem E-Business teilhaben wollen. Firmen wie SCM Microsystems etwa, die das Internet mit digitaler Fernsehtechnik drahtlos zum Heim-PC übermitteln möchte.
Weltweit 3 Billionen Franken jährlich setzen Informatik- und Telekommunikationsbranche heute gemeinsam um. Für die nächsten Jahre rechnet man mit hohen zweistelligen Zuwachsraten dank E-Business. «Das ist der Ort, wo wirklich Geld fliesst», sagt John E. Davies. Sein Kollege Peter Mark Droste rechnet damit, dass im Jahr 2003 Firmen untereinander Waren im Wert von mehr als 1,3 Billionen Dollar handeln werden. Damit verändert sich auch die Sprache: Wer sich an den CeBIT-Ständen umhört, vernimmt ständig neue Wortkreationen wie «Internet-Kompetenz», «Internet-Portfolio» oder «elektronische Future.»
Selbst wenn er sie nicht versteht – der Kunde soll König sein. «Noch nie hatte der Konsument so viel Macht», lobt der Schweizer Ernst Koller, heute Geschäftsführer von IBM in Deutschland. Darum soll in der dritten Generation des elektronischen Handels die Information, die auf die Bürger der vernetzten Welt hereinprasselt, in Zukunft individuell aufbereitet werden. Die Hannoveraner Supermesse mit ihrer überwältigenden Fülle an Neuheiten ist dafür allerdings das denkbar schlechteste Beispiel.