Cassius Clay: «Die Krone gehört Ali»
Ein faszinierendes Buch schildert die Jugend von Cassius Clay und seinen Aufstieg zur Legende.
–: Wie kamen Sie als ehemaliger politischer Journalist dazu, ausgerechnet ein Buch über Muhammad Ali zu schreiben?
DAVID REMNICK: Als Kinder veranstalteten wir in den Kellern unseres Blocks, in dem ich aufwuchs, Kämpfe mit richtigen Boxhandschuhen. Doch ich merkte bald, wie schmerzvoll das unter Umständen ausgehen kann. Also sagte ich mir: Das ist nichts für mich!
–: Trotzdem waren Sie vom Boxen fasziniert.
REMNICK: Na klar. Allerdings war Boxen nicht gerade das, was Kinder der normalen Mittelschicht den lieben langen Tag lang taten. Schon damals boxten Leute, die früh lernen mussten, um die nackte Haut zu kämpfen. Ich bewundere Ali, wie er sich in jenem Milieu nach oben gearbeitert hat.
–: In Ihrem Buch scheint in jeder Zeile die ungebrochene Leidenschaft für diesen Sport durch.
REMNICK: Man spürt da wohl mehr meine Faszination für Ali, denn soweit ich zurückdenken kann, hat mich dieser Kerl ebenso elektrisiert wie es seinerzeit Bob Dylan tat. Er strahlte Witz, Raffinement und manchmal sogar Poesie aus, wenn er im Ring stand und sich im Gestus des Heiligen gefiel. Er war das Spiegelbild einer verrückten Zeit – und er ist ein Teil meiner eigenen Geschichte. Ali ist immer seinen eigenen Weg gegangen, gegen alle Widerstände: politisch wie athletisch. Doch was mich primär dazu brachte, dieses Buch zu schreiben, ist mein politisches Interesse an der Legende Ali.
–: An Ali, der seine sportlichen Erfolge in politische Münze umzuwandeln verstand?
REMNICK: Als Korrespondent der «Washington Post» in Moskau erlebte ich den Kollaps der Sowjetunion. Damals entstanden meine ersten beiden Bücher, die mir von der Geschichte quasi auf dem Silbertablett serviert wurden. Das grosse historische Drama, das sich da vor meinen Augen abspielte, war auf seine Weise extrem kompliziert und nervenaufreibend, fast wie einer der grossen russischen Romane. Und da bekam ich immer mehr Lust auf einen uramerikanischen Roman.
–: Und so schrieben Sie dieses Buch über Ali?
REMNICK: Ja, denn seine Geschichte bietet den Plot für einen durch und durch amerikanischen Roman. Für mich hat Ali etwas von Huckleberry Finn, und zwar in dem Sinn, dass ein junger Mann eine Idee von sich hat als von jemandem, der grösser und bedeutender ist, als er in Wahrheit je sein kann. Diesen Traum hatte Ali als Zwölfjähriger in Louisville …
–: … und schrieb schliesslich rassenpolitisch Geschichte. Ist Ali ein Martin Luther King des Rings?
REMNICK: Ja, wenn Sie so wollen. Er wurde bald zu einem politischen und rassischen Symbol, verkörperte einen neuen, hoch politischen Typ von Boxer, wie wir ihn zuvor in den USA nicht gekannt hatten. Auf Grund seines feinen politischen Sensoriums und seiner gesellschaftlichen Position war er plötzlich im Stande, Politik für sich und seine Brüder zu machen.
–: Bei Ihnen liest sich das alles, wie von einem Romancier erdacht. Wie kommt das?
REMNICK: Weil ich mein Buch genau so angelegt habe, angereichert mit Haupt- und Nebencharakteren, mit zeitpolitischem Setting, Atmosphäre und so weiter. Nehmen Sie nur Floyd Patterson und Sonny Liston: Die beiden sind für mich so etwas wie die epischen Gegenspieler Alis in diesem Werk. Sie formten ihn auf ihre Weise mit, und zwar in der Art, wie er auf neue Herausforderungen zuging oder sich in all dem hinterfragte, was er tat.
–: Amerikas Boxgeschichte ist übersät mit Champions. Wo unterscheidet sich Ihrer Meinung nach Ali von einem Rocky Marciano oder einem Joe Louis?
REMNICK: Komischerweise war es gerade die Schwergewichtsklasse, die von jeher eine Menge über den Zustand der jeweiligen Gesellschaft aussagte.
Joe Louis etwa war, ähnlich einem Jesse Owens, eine gigantische Persönlichkeit. Seiner Milde wegen wurde er von vielen verehrt. Marciano war politisch eher unbedeutend, aber der letzte weisse Champion der Königsklasse. Die Krönung aber steht Ali zu: Kein Boxer vor oder nach ihm hat es je auf derart charismatische Weise verstanden, seinen Sport und seine damit verbundenen politischen Anliegen bis in die entlegensten gesellschaftlichen Regionen zu transportieren. Ali war ein kämpfender Engel, ein Schmetterling und ein Stahlhammer zugleich.
–: Und was ist mit Mike Tyson?
REMNICK: Dieser kleine Schläger besitzt im Ganzen nicht so viel Klasse, wie sie Ali in seinem kleinen Finger hatte.
–: Sehen Sie sich die Kämpfe von Holyfield oder Tyson überhaupt noch im Fernsehen an?
REMNICK: Nein, denn was da vor und hinter den Kulissen gespielt wird, hat mit Boxen seit langem nichts mehr zu tun. Verschwände dieser Sport schon morgen, wäre ich nicht traurig.