Zur richtigen Zeit am richtigen Ort

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Sie machte eine Blitzkarriere. Jetzt hat die Sankt-Gallerin Hildegard Fässler gute Aussichten, Ursula Kochs Nachfolgerin zu werden.

Was für ein Wochenende. Am Samstag spielten sie «Fascht e Familie». Und am Sonntag war «Fertig lustig». Sitcom heissen diese Darbietungen im TV. «Klausursitzung» nennen es die Sozialdemokraten.

Am Montag gab der zurücktretende SP-Vizepräsident Pierre Aeby das Anforderungsprofil für die Nachfolge der noch nicht zurückgetretenen Präsidentin Ursula Koch bekannt: Frau und Deutschschweizerin. Damit hat die amtierende SP-Präsidentin wohl abgedankt. Kochs Rücktritt, ob als freiwillig oder erzwungen deklariert, ist nur noch eine Frage der Zeit.

Das neue Anforderungsprofil ist auf die Favoritin gemünzt, deren Name in diesen Tagen am fleissigsten in Umlauf gebracht wird: Hildegard Fässler, 48, Sankt-Galler Nationalrätin, Mathematiklehrerin an der Kantonsschule Heerbrugg. «Ja», sagt Hilde Fässler gegenüber FACTS ohne Umschweife auf die Frage, ob sie sich eine Kandidatur als SP-Präsidentin überlegen würde. 28 Stunden später präsentiert sie sich in «10 vor 10» als offizielle Kandidatin.

Fässler ist die politische Alternative zu Koch – und das leibhaftige Gegenstück: zugänglich, offen, unverkrampft.

Die Unbekümmertheit, mit der sie die Gesetze der Berner Machtmechanik bricht, ist so fahrlässig, dass sie auch berechnet sein kann. Diese Gesetze lauten: Erstens darf, wer für ein wichtiges Amt kandidiert, keine Meinung haben, schon gar nicht in Personalfragen. Zweitens schafft sich die beste Ausgangslage, wer seine eigenen Interessen möglichst lang unter dem Deckel hält.

Hilde Fässler sagt erstens, Ursula Koch solle zurücktreten: «Jetzt geht es nicht mehr anders.» Sie sagt es bereits am Montag, an dem erst zwei offizielle Rücktrittsforderungen bekannt sind. Fässler schliesst auch weitere personelle Konsequenzen nicht aus. Der Konflikt müsse gelöst werden, indem eine neue Crew das Ruder übernimmt. Die politische Arbeit werde durch den Streit gelähmt. Im Originalton: «Mich gurkt das an. Dafür komme ich nicht nach Bern.»

Hilde Fässler fragt zweitens: «Wieso sollte ich nicht kandidieren?»

Ursula Koch war Zürcher Stadträtin, als ihr Name am 22. März 1997 für die Nachfolge von Peter Bodenmann ins Spiel gebracht wurde. Danach liess sie sich bis am 20. Mai Zeit, um zu sagen: «Ich habe mich entschieden. Ich kandidiere.» Das war taktisch raffiniert. Und damals, als Ursula Koch die Aussenseiterin war, foutierte sie sich um die Regeln der Partei. Anmeldeschluss für die Kandidaturen war der 23. März: «Das ist lediglich ein organisatorischer, kein statutarischer Termin», wiegelte sie Einwände ab.
Trotzen und Kämpfen sind die prägenden Merkmale der kochschen Laufbahn. Bei Hilde Fässler ist es das pure Gegenteil: «Ich habe immer Schwein, aber ich nütze es auch immer aus.» Glück hatte sie, als sie 1992 ins Sankt-Galler Kantonsparlament gewählt wurde und schon kurze Zeit später in wichtigste Kommissionen. «Sie hat sich rasch zu einer prägenden Figur in der kantonalen Politik entwickelt», erinnert sich ihr Sankt-Galler Nationalratskollege Paul Rechsteiner. Ihre Kollegin von der Konkurrenz, CVP-Nationalrätin Lukrezia Meier-Schatz, schildert Hildegard Fässler als Politikerin ohne Berührungsängste: «Sie ist sehr engagiert und offen.»

Glück hatte sie, als sie 1997 in den Nationalrat nachrutschte und sogleich ein Platz in der wichtigen Wirtschaftskommission für sie frei wurde. Bald darauf schickte sie das Parteisekretariat zum ersten Mal in die «Arena» des Schweizer Fernsehens. Sie war ausnehmend fernsehtauglich. Seither wird sie direkt von der «Arena»-Redaktion eingeladen. «Sie spricht eine Sprache, die die Leute verstehen», lobt der Solothurner SP-Ständerat Ernst Leuenberger, «ich sähe sie gerne in Leitungspositionen.»

Er ist nicht der Einzige. Fässler ist die Hauptanwärterin für den SP-Thron. Der Favoritenkreis ist klein. Fast die ganze SP-Prominenz hat sich im Verlauf des jahrelangen Stellvertreterkrieges in eines der feindlichen Lager manövriert. Ausserdem soll Koch von einer Frau abgelöst werden – damit es nicht heisst, sie sei von Männern gemobbt worden.

Als mehr oder weniger blockfrei gelten nur die Baslerin Anita Fetz und Hilde Fässler. Unternehmensberaterin Fetz, Konvertitin der ehemaligen Poch und ohne SP-Hausmacht, mag sich jedoch für das Amt nicht zur Verfügung stellen. Und zu Fässlers Problem könnte werden, dass sie parteiintern zu den Koch-Gegnern gezählt wird und sich jetzt mit ihrem Vorprellen klar positioniert. Doch Fässler gibt an, zu keinem der beiden Lager zu gehören.

Das dürfte zu einer wichtigen Wahlvoraussetzung werden. Nach den jämmerlichen Darbietungen der Parteispitze gewinnt an der Parteibasis die Radikalforderung an Boden: Koch weg, Steiert weg, neue Leute her, und dann endlich wieder politisieren.

Am Montag tagte im Bundeshaus die Finanzkommission. Über Mittag zogen sich die SP-Mitglieder zum Arbeitsessen ins Restaurant «Zur Münz» zurück. Mit Ursula Koch sassen die Nationalräte Hilde Fässler, Urs Hofmann, Roberto Zanetti und Pierre-Yves Maillard zu Tisch. Werner Marti fehlte. Der Knatsch in der Partei wurde mit keinem Wort erwähnt. Sittenbild aus einem Postenverteilungsverein, dessen Kerngeschäft die offene Auseinandersetzung wäre.

Die Frage: «Warum, Hilde Fässler, haben Sie Frau Koch nicht direkt mit den Ereignissen konfrontriert?» Die Antwort: resigniertes Schulterzucken.Die Drecksarbeit musste der Haudegen aus dem Wallis übernehmen. Via «Blick» schoss Peter Bodenmann eine Breitseite gegen die Partei seiner Nachfolgerin. Jetzt ist Leben in die sozialdemokratische Personalpolitik gekommen. Rücktrittsforderungen allenthalben. Kantonalparteien wollen einen ausserordentlichen Parteitag einberufen. Schnelle Entscheidungen werden gefordert. Mit ihrem hochnotpeinlichen Auftritt vom Samstag hat die SP-Präsidentin ihr windschiefes Werk der Selbsttäuschung endlich selbst zur Vollendung gebracht: Es kracht in sich zusammen.

Stellt sich Fässler einmal mehr im richtigen Moment an den richtigen Ort?

Als Alternative wird sie nicht zum ersten Mal lanciert. Nachdem der Kleinkrieg bei der Wahl des Fraktionspräsidenten von neuem entbrannt war, portierten ein paar Überdrüssige Fässler – zur Befriedung des Hahnenkampfs Franco Cavalli («Bodenmann-Clan») gegen Rudolf Strahm («Koch-Clan»). Aber Fässler erklärte Verzicht. Ernst Leuenberger holte zu einer Standpauke gegen den Kleinkrieg aus und stimmte aus Protest für Fässler. Sie selbst wählte Cavalli.

Wiewohl Mittelschullehrerin, hat Hilde Fässler nicht das Image einer Lehrerzimmer-Sozialistin. Ihre hemdsärmlige Art verleiht ihr den nötigen Schuss Bodenständigkeit. Sie ist Langstreckenläuferin und kickt als erste Frau im FC Nationalrat mit. Sie ist auch schon mit Auns-Geschäftsführer Hans Fehr durch Bern gejoggt: «Das war einmalig fürs TV», wehrt sie sich, «es reicht mir schon, dass ich mit Ueli Maurer Fussball spiele.»

Sie lebt mit ihrem Mann, ebenfalls Dozent für Mathematik, in Grabs im Sankt-Galler Rheintal. Ihr Pensum als Lehrerin hat sie auf 20 Prozent reduziert. Auch ihre Mitwirkung als Querflötistin in der Musikgesellschaft Harmonie Buchs ist der Politik zum Opfer gefallen: An Konzerten tritt sie noch als Ansagerin auf. Dafür ist sie möglicherweise an der nächsten Klausursitzung der SP als erste Geigerin angesagt.

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