Tourismus am Fuss des Mount Everest
Übertriebene Ängste um Waldvernichtung
Der Tourismus am Mount Everest hat den Sherpas einen beachtlichen Wohlstand gebracht. Immer wieder werden jedoch Stimmen laut, der Feuerholzbedarf der Besucher führe zu einem Raubbau am Wald. Vergleiche mit früheren Zeiten zeigen, dass von einer Waldzerstörung im grossen Massstab keine Rede sein kann.
Nach seiner Bergsteigerkarriere verschrieb sich Edmund Hillary der Aufgabe, die Lebensbedingungen der Sherpas zu verbessern. Er gründete den Himalayan Trust Fund, sammelte Geld, baute Schulen, Brücken und ein Krankenhaus. Um das Heranschaffen von Materialien für die Projekte zu erleichtern, liess er 1964 beim nepalesischen Dorf Lukla, vier Tagesmärsche südlich des Everest, eine kleine Flugpiste anlegen, nicht ahnend, dass er damit auch den Touristen den Weg ebnete. Der zweiwöchige Fussmarsch von Katmandu schrumpfte auf eine Flugzeit von 40 Minuten. Kein Wunder, dass innerhalb weniger Jahre die Zahl der Besucher von ein, zwei Dutzend pro Jahr auf einige tausend emporschnellte.
Tourismus als Chance
Den Sherpas war das hochwillkommen; denn sie gerieten just zu dieser Zeit in eine empfindliche Notlage. Durch die chinesische Okkupation von Tibet war ihr Handel mit dem Nachbarland, den sie mit Yak-Karawanen über den 5700 Meter hohen Nangpa La (La-Pass) abwickelten, völlig zum Erliegen gekommen. Der Transhimalajahandel hatte aber von alters her neben Ackerbau und Weidewirtschaft wesentlich zur Existenzsicherung in dem kargen Lebensraum zwischen 3000 und 4000 Metern Höhe beigetragen. Der Wegfall dieser Einnahmequelle hätte auf Dauer viele zur Abwanderung gezwungen.
Der aufkommende Tourismus, dessen Chancen die Sherpas voller Elan ergriffen, machte die Verluste mehr als wett. Anfangs beherrschten organisierte Trekkinggruppen die Szene, die mit Zelten durch die Bergwelt wanderten. In Anlehnung an das Muster bei Bergsteigerexpeditionen verdingten sich die Sherpas unter der Führung eines «Sirdars» als Träger und Köche. Doch bald erkannten sie weitere Einkommensmöglichkeiten. Sie eröffneten «Teashops» und boten in ihren Häusern Kost und Logis an. Das zog eine immer grössere Zahl von Rucksacktouristen an, was wiederum wohlhabende Sherpas, frühere Händler oder Sirdars veranlasste, die ersten «Lodges» zu bauen. Die Sherpas wurden also nicht vom Tourismus überrollt, sondern der rasante Aufschwung ist zu einem guten Teil ihrem aktiven «Marketing» zu verdanken. Heute ist nahezu jeder Sherpa-Haushalt auf die eine oder andere Weise ins Tourismusgeschäft involviert. Die Höhe der Einkommen variiert allerdings beträchtlich. Während im zentralen Marktflecken Namche Bazar eine Klasse von ausgesprochen reichen Lodge-Besitzern entstanden ist, partizipieren zum Beispiel die Bewohner des etwas abseits liegenden Thame-Tales nur durch das Vermieten von Yaks als Tragtieren.
Ökologischer Imperialismus
Schon in den frühen siebziger Jahren, als der Tourismus gerade in Schwung kam, fielen nepalesischen Regierungsbeamten und neuseeländischen Beratern, welche die Möglichkeit für einen Nationalpark eruierten, bedenkliche Nebenwirkungen auf. Ob Trekkinggruppe oder Einzelreisender, für alle wurde mit Holz gekocht, und die Neubauten von Lodges erforderten grosse Mengen an Bauholz. Die Berater kamen zur Überzeugung, die Situation sei so kritisch, dass gehandelt werden müsse. Auch Hillary, dem die vielen Touristen ohnehin ein Greuel waren, sah überall Raubbau an den Wäldern. So kam mit seiner massgeblichen Beteiligung 1976 der Beschluss der nepalesischen Regierung zustande, das 1100 km2 grosse Khumbu-Gebiet zwischen dem Zusammenfluss von Dudh Koshi und Bhote Koshi und der Grenze zu Tibet zum Sagarmatha-Nationalpark zu erklären (Sagarmatha ist die nepalesische Bezeichnung für den Mount Everest. Für die Sherpas ist das allerdings ein fremder Name; für sie wie auch für die Tibeter ist der höchste Berg Chomolungma – die Göttinmutter der Erde).
Die Sherpas waren äusserst beunruhigt; denn sie fürchteten um ihre traditionellen Nutzungsrechte. Die Weiderechte wurden zwar nicht eingeschränkt, aber für die Forstnutzung wurden einschneidende Restriktionen erlassen. Fortan durfte nur noch dürres Holz gesammelt werden, und für das Fällen von Bäumen brauchte man eine Genehmigung. Zeitweise gingen gar Armeepatrouillen auf Streife. Aber die Sherpas fanden immer wieder Wege, die Vorschriften zu umgehen.
Die Gründung des Nationalparks war im Grunde, wenn auch in wohlmeinender Absicht, ökologischer Imperialismus. Auf dem Umweg über die nepalesische Zentralregierung wurde den Sherpas das Konzept der westlichen Nationalpark-Idee oktroyiert. Dabei war die Hast, mit der vorgegangen wurde, völlig überflüssig. Es wäre durchaus Zeit gewesen, unter Rückgriff auf die Traditionen der Sherpas ein Konzept für eine nachhaltige Forstnutzung zu entwickeln. Wie spätere Studien zeigen, wurde von den Verantwortlichen die Situation viel dramatischer eingeschätzt, als sie tatsächlich war.
Während Hillary auch noch sechs Jahre nach der Einrichtung des Nationalparks befürchtete, aus dem Khumbu drohe eine «baumlose Wüste» zu werden, konnte ein anderer Himalaja-Veteran, der Amerikaner Charles Houston, der 1950 als einer der ersten Ausländer überhaupt die Gegend zu Gesicht bekommen hatte, nichts dergleichen feststellen. Die «Horden» von Touristen hätten wenig Schaden angerichtet. Sein Eindruck wurde von dem Geographen Alton Byers von der Universität Colorado bestätigt. Er verglich Panoramaaufnahmen von Vermessungen der Jahre 1955 bis 1963 mit Fotos, die er 1984 von den gleichen Standorten aus gemacht hatte. Es waren so gut wie keine Veränderungen festzustellen.
Unterschätzte Verhaltensänderungen
Die amerikanische Geographin Barbara Brower und ihr Landsmann, der Ethnologe Stanley F. Stevens, haben die Befunde von Byers untermauert. Durch Untersuchungen zur Umweltgeschichte der Sherpas konnten sie zeigen, dass Waldverluste, die dem Tourismus angelastet werden, in der Regel auf frühere Zeiten zurückgehen. So sind die kahlen Hänge um Namche, an denen jetzt Aufforstungsversuche laufen, keineswegs erst in jüngster Zeit entwaldet worden.
Obwohl die Zahl der Besucher mittlerweile auf über 20 000 pro Jahr angestiegen ist, halten sich die Auswirkungen auf den Wald erstaunlicherweise nach wie vor in Grenzen. An einzelnen Stellen ist zwar durchaus eine Übernutzung festzustellen, aber von einer grossflächigen Waldvernichtung kann keine Rede sein. Zum Teil ist das auf die Nationalpark-Regeln zurückzuführen. Bauholz wird nun aus tieferen Tallagen herangeschafft. Aber auch dort ist es nicht zu grossflächigen Abholzungen gekommen. Die Trekkinggruppen und Expeditionen kochen schon lange mit Kerosin oder Flaschengas und entfachen am Abend auch keine Lagerfeuer mehr, aber in den Sherpa-Haushalten war bis vor kurzem Feuerholz der einzige Brennstoff.
Vermutlich haben auch Neuerungen, welche die Sherpas von sich aus eingeführt haben, dämpfend auf den Holzverbrauch gewirkt. So ersetzten sie in den sechziger und siebziger Jahren ihre offenen Feuerstellen nach und nach durch Herde aus Stein und Lehm, wie sie im holzarmen Tibet schon länger in Gebrauch sind. Mit der Verbreitung von Thermosflaschen entfiel die Notwendigkeit, immer wieder Feuer zu machen, um frischen Buttertee aufzubrühen – nicht unerheblich, wenn man bedenkt, dass ein Erwachsener jeden Tag einige Dutzend Tassen konsumiert. Schliesslich ist man auch dazu übergegangen, in den Häusern vom grossen zentralen Raum einen kleinen Aufenthaltsraum um den Herd abzutrennen, was den Holzverbrauch zum Heizen reduziert hat. Der Effekt all dieser Massnahmen lässt sich schwer quantifizieren, ist aber sicher nicht unerheblich.
Entschädigung für Unbill
Für die Unbill, die den Sherpas durch den Nationalpark widerfahren ist, haben sie jedoch eine Entschädigung erhalten, die vieles aufwiegt. Ihnen wurde ein Wasserkraftwerk samt Elektrizitätsnetz plus Ausbildung einer Betriebsmannschaft im Wert von umgerechnet 9 Millionen Franken geschenkt. Mit der Gründung des Nationalparks entstand nämlich auch der Plan, als Alternative zum Feuerholz Strom zum Kochen zur Verfügung zu stellen. Die österreichische Regierung erklärte sich bereit, die Kosten zu übernehmen, und so wurde 1980 am Bhote Koshi mit den Bauarbeiten begonnen.
Im Jahr 1985 gab es allerdings einen desaströsen Rückschlag. Eine Flutwelle aus einem geborstenen Gletschersee, die auch sonst gewaltigen Schaden anrichtete, zerstörte den Rohbau des Kraftwerks. Österreich stand aber zu seinen Verpflichtungen. Die Arbeiten wurden an einem neuen Standort wieder aufgenommen und konnten 1995 erfolgreich abgeschlossen werden. Seitdem beliefert ein Kraftwerk mit einer Leistung von 620 Kilowatt rund 630 Kunden. In den Dörfern, die vom Stromnetz erreicht werden, haben sich alle Haushalte anschliessen lassen. Damit werden von den 3000 Einwohnern des Khumbu etwa zwei Drittel mit Strom versorgt. Das Unternehmen, die Khumbu Bijuli Company (KBC) (Bijuli heisst Strom) untersteht nicht der nationalen Elektrizitätsgesellschaft, sondern ist eine eigenständige Gesellschaft mit den Dorfgemeinschaften als Anteilseignern. Die österreichische Nichtregierungsorganisation Öko-Himal hat eine Belegschaft von 15 Sherpas ausgebildet, die den Betrieb seit Anfang Jahr selbständig leitet.
Bei der Tarifstruktur wurden soziale und ökologische Kriterien berücksichtigt. Zum einen sollten auch ärmere Haushalte in den Genuss der Stromversorgung kommen, zum anderen war man bestrebt, den Strom relativ preiswert anzubieten, damit er eine attraktive Alternative zum Kochen mit Holz ist. Verbraucher mit einer Anschlussleistung von 100 Watt zahlen monatlich lediglich einen Fixbetrag von 1 Franken 50, bis 1260 Watt sind es 15 Franken. Erst darüber wird der Verbrauch gemessen und abgerechnet. Der Preis für eine Kilowattstunde beträgt knapp 20 Rappen.
Wie die Sozialwissenschafterin Christa Fischbacher ermittelt hat, wird in einem typischen Sherpa-Haushalt nun etwa je zur Hälfte mit Strom und Holz gekocht. Durch Hochrechnungen und Vergleiche mit früheren Erhebungen kommt sie zu Schluss, dass schon im ersten Betriebsjahr im Versorgungsgebiet des Elektrizitätswerks der Feuerholzverbrauch von 6000 auf 4000 Tonnen zurückgegangen ist. Wenn dieses Ergebnis stimmt, muss das Projekt im Hinblick auf die Zielsetzung «Einsparung von Feuerholz» als voller Erfolg gewertet werden.
Verbesserung der Lebensqualität
Leider geht auch Fischbacher von der irrigen Annahme aus, dass «der Wald bald ganz zu verschwinden droht», und macht deshalb mehr oder minder brauchbare Vorschläge, wie sich die Einsparung von Holz noch weiter erhöhen liesse. Das sind aber nicht die Probleme, um die man sich vordringlich kümmern muss, sondern es geht darum, das Projekt auf eine solide wirtschaftliche Grundlage zu stellen. Mit den gegenwärtigen Tarifen erlöst KBC im Durchschnitt nur 5 Rappen pro Kilowattstunde, was offenkundig viel zu wenig ist. Damit werden zwar die laufenden Kosten gedeckt, aber es kann kein Geld für grössere Reparaturen zurückgelegt, geschweige denn Kapital für einen Neubau akkumuliert werden. Dem Management von KBC sind die Probleme bewusst, und so hat es sich im vergangenen Jahr zu einer moderaten Preiserhöhung durchgerungen, die schliesslich widerwillig akzeptiert wurde. Weitere Tariferhöhungen sind aber unumgänglich, wenn das Unternehmen nicht von ausländischen Geldgebern abhängig bleiben will.
Der elektrische Strom hat, angefangen bei der Beleuchtung, zu einer wesentlichen Verbesserung der Lebensqualität geführt. Im Krankenhaus verfügt man jetzt über ein Röntgengerät, Ultraschall sowie Elektrokardiogramm und muss in der Nacht bei einem Notfall nicht mehr mühsam den Dieselgenerator in Gang setzen. Mit der Elektrifizierung hat auch die moderne Kommunikationstechnik Einzug gehalten. Die meisten Büros und eine Reihe von Herbergen haben Telefon-, Fax- und Internetanschluss. Die Verbindung zur Aussenwelt erfolgt über eine Richtfunkstation. Gerade die besseren Kommunikationsmöglichkeiten heben die Attraktivität des «Wirtschaftsstandorts» Khumbu und können vielleicht den Trend bremsen, dass die fähigsten Leute abwandern. Damit leistet die Elektrifizierung einen wichtigen Beitrag, die Zukunft der Sherpas in ihrem angestammten Lebensraum zu sichern. Es wäre ein unermesslicher Schaden, wenn dieser Fortschritt durch einen wirtschaftlichen Fehlschlag von KBC wieder in Frage gestellt würde. Die Stärkung der Ertragskraft des Unternehmens ist die vordringlichste Aufgabe. Ob ein paar Ladungen Feuerholz mehr oder weniger eingespart werden, ist demgegenüber zweitrangig.