Swissair – Letzter Schub Totaler Konzernumbau
Totaler Konzernumbau, Sanierungsaktion unter der Leitung von Ulrich Bremi: Wer rettet die Swissair vor dem Untergang?
Die Enttäuschung und der Frust waren spürbar, als die Swissair-Piloten am Montag den wenigen anwesenden Medienvertretern ihre Sicht zu den Umstrukturierungsmass-nahmen ihrer Airline nahe bringen wollten. Die gewählten Worte verdeutlichten die Weltuntergangsstimmung: «Es droht die Implosion des ganzen Unternehmens», referierte Markus Jöhl, Präsident der Vereinigung Aeropers und selber Pilot, «200 000 Arbeitsplätze werden gefährdet.» Die Gefährdung der Swissair und in der Folge auch des Zürcher Flughafens werde die ganze Volkswirtschaft der Region in eine Krise stürzen. Bundesrat Kaspar Villiger sieht die Zukunft ebenfalls düster: «Allen muss klar sein, dass jetzt die letzte Gelegenheit zur Rettung der Swissair gekommen ist.»
Die Piloten fürchten sich zu Recht, denn mit der Entscheidung vom Montagmorgen wird die Swissair-Welt auf den Kopf gestellt: Faktisch übernimmt die kleinere flinke Crossair den lahmen Dinosaurier Swissair. Die Holdinggesellschaft Swissair Group will, wie sie schreibt, aus den bisherigen Unternehmen eine völlig neue Airline basteln: «Die neue Airline wird auf der Crossair-Methode aufbauen.» Sie zeichne sich aus durch eine hohe Qualität «bei gleichzeitig wesentlich niedriger Kostenstruktur als jener der Swissair». Die Swissair verliert ein Viertel ihrer Langstreckenflugzeuge, manche Swissair-Piloten werden das Cockpit für immer verlassen müssen – die Pilotengewerkschaft Aeropers rechnet mit 300 Entlassungen –, das Management wird gestrafft, und den verbleibenden Piloten droht spätestens nach Ablauf des Gesamtarbeitsvertrags 2005 ein Lohnabbau. Das Management wird alles unternehmen, um die Piloten schon vorher für einen Abbau zu gewinnen. «Alle müssen einen Beitrag an die Rettung der Airline leisten», sagt Swissair-Sprecher Rainer Meier. Bereits beschlossen ist der Abbau von 3000 Mitarbeitern der bisher als erfolgreich geltenden Gate Gourmet. Martin Guggi, Präsident der Gewerkschaft des Kabinenpersonals Kapers, rechnet in seinem Bereich mit einem Stellenabbau von 20 bis 30 Prozent.
Das Standesbewusstsein und das Selbstverständnis der Swissair-Piloten standen jahrzehntelang für die ganze Swissair-Gruppe. Immer höher wollte man hinaus, an der Spitze mit dabei sein. Mit der Hunter-Strategie, dem Aufkauf einer Reihe kleiner ausländischer Fluggesellschaften, hat der im Januar geschasste Swissair-Chef Philippe Bruggisser den Wachstumsrausch zum Höhepunkt getrieben. Unterstützt hat ihn dabei ein Verwaltungsrat, in dem Platz nehmen durfte, wer in der Schweizer Wirtschaft etwas galt, ausserdem FDP-Politiker, die sich in diesen Kreisen besonders verdient gemacht haben.
Schon im April wurde klar, dass sich das Unternehmen mit seinen vielen Engagements gewaltig übernommen hat. Damals musste die Gesellschaft einen Jahresverlust von beinahe drei Milliarden Franken bekannt geben. Aber das weit gehend alte Management und der teilweise erneuerte Verwaltungsrat mit dem neuen Chef Mario Corti haben es in der Folge nicht geschafft, das Steuer herumzureissen. Während man vom Balsberg nie etwas Konkretes über eine künftige Strategie erfuhr, hielt sich die Gruppe durch den Verkauf von Tochtergesellschaften über Wasser. An der Börse, dem Vertrauensbarometer, ist die Aktie der Fluggesellschaft weiter gefallen. Die Swiss Air Lines – wie sie sich im Rückgriff auf alte Zeiten wieder nennt – ist heute nur noch ein Fünftel so viel Wert wie Anfang Jahr.
Seit den verheerenden Terroranschlägen in New York und Washington ist die ganze Flugindustrie in der Krise: Das Flugverbot in den USA und geringere Passagierzahlen wegen der Kriegsangst verminderten die Einnahmen einer Branche, die mit engen Margen rechnet. Höhere Ölpreise lassen gleichzeitig die Kosten steigen. Der Schweizer Carrier kann endgültig nicht mehr weiterwursteln wie bisher. Denn jetzt können auch die bisher profitablen Tochtergesellschaften nicht mehr zu guten Preisen verkauft werden.
Mario Corti ist zum Quantensprung gezwungen. Und er hat sich an ein Rezept erinnert, das Crossair-Gründer Moritz Suter 1993 vorschlug, damit aber bei der expansionsorientierten Swissair abblitzte. Im «Phoenix-Papier» forderte er von der Swissair «eine Redimensionierung und eine strukturelle Kostenbereinigung», die mit einem Personalabbau verbunden sei. Wegweisend sollten die schlanken Strukturen der Crossair werden, und auch die Swissair sollte sich auf rentable Strecken beschränken. Moritz Suter, der Visionär: Die Umsetzung seiner Vorschläge hätte die Swissair vor dem Niedergang bewahrt.
Ob dieser Niedergang jetzt noch abgewendet werden kann, ist keineswegs sicher. Ohne Hilfe wird es die Swissair nicht schaffen. Darum startete Andres Leuenberger, Präsident des mächtigsten Wirtschaftsverbands der Schweiz, Economiesuisse, und seit sechs Jahren Verwaltungsrat der Swissair Group, eine Rettungsaktion. Am vergangenen Samstagnachmittag um 16 Uhr hat Leuenberger an einem «geheimen Ort» in Bern die Bundesräte Moritz Leuenberger und Kaspar Villiger, Leuenbergers Generalsekretär Hans Werder, den Direktor der Eidgenössischen Finanzverwaltung, Peter Siegenthaler, Villigers Sprecher Daniel Eckmann und zwei seiner Kollegen aus dem Swissair-Verwaltungsrat, CEO Mario Corti und den Privatbankier Benedict Hentsch, zusammengebracht. Ebenfalls eingeladen hat Leuenberger den 71-jährigen Ulrich Bremi, früherer FDP-Fraktionspräsident, Manager in Schweizer Grossfirmen und Strippenzieher in Politik und Wirtschaft.
Als Einziger aus dem Verwaltungsrat nicht anwesend war Lukas Mühlemann, CEO und Verwaltungsratspräsident der Credit Suisse Group. «Er weilte im Ausland», sagt CS-Sprecher Andreas Hildenbrand. Die Anwesenheit von Mühlemann hätte den CS-Aktionären in den falschen Hals geraten können. Denn die neun Männer berieten bei Orangensaft und Brötchen bis in die Nacht, wie Bund und Wirtschaft der Swissair beispringen könnten. Man einigte sich schliesslich darauf, dass Ulrich Bremi eine Arbeitsgruppe zusammenstellt, die konkrete Vorschläge unterbreiten soll.
Was für eine Schmach für Corti, der immer betont hatte, die Swissair ohne Staatshilfe sanieren zu können. Als Hoffnungsträger wird er jetzt – kein halbes Jahr später – vom Altpolitiker und Altverwaltungsratspräsidenten der Swiss Re, Ulrich Bremi, abgelöst. Jetzt müssen er und seine Mitstreiter einen Teil des Jobs machen, für den Corti gewählt worden war. «Mit der Unternehmensleitung haben wir gar nichts zu tun. Meine Aufgabe ist nur, mittelfristig eine tragfähige Kapitalstruktur zu suchen», spielt Bremi seinen Einfluss herunter: «Ich habe keine besonderen Kompetenzen.»
Die Wahl von Bremi zum Troubleshooter ist nicht unproblematisch. Mit mehreren Swissair-Verantwortlichen war er politisch oder beruflich verbandelt. Lukas Mühlemann war sein CEO bei der Swiss Re, während er selber als Verwaltungsratspräsident amtete. Eric Honegger, Exregierungsrat von Zürich und Sohn von Altbundesrat Fritz Honegger, gilt als sein Protegé. Bundesrat Villiger, wie Honegger und Bremi Mitglied der FDP, schlägt die Bedenken zur Wahl Bremis in den Wind: «Ich finde es grossartig, dass er es macht. Ich sehe bei ihm überhaupt keine Befangenheit.»
Erstaunlich ist schon, dass eine ganze Reihe altgedienter Vertreter des Wirtschaftsliberalismus von FDP bis Wirtschaftsverband Economiesuisse zusammensitzt, um Hilfe von Staat und Banken für ein Unternehmen zu fordern, dessen Management versagt hat. Dieselben Personen sind vor allem bekannt dafür, den Staat von der Wirtschaft möglichst fern zu halten.
Entsprechend zurückhaltend äussern sich daher Villiger und Bremi zu einem möglichen Staatsengagement: «Wir haben noch keinen Vorschlag in diese Richtung gemacht; ob der Staat sich engagiert, wird man sehen», sagt Bremi. «Er könnte höchstens neue Aktien kaufen.» Auch Bundesrat Villiger versucht Erwartungen zu dämpfen: «Der Bund beteiligt sich nur subsidiär an der Rettungsaktion und zudem nur dann, wenn sich alle betroffenen Kreise wie Arbeitnehmer, Standortkantone, Banken usw. auf ein Engagement einigen, das auf einem Erfolg versprechenden Sanierungsplan fusst.» Ob die von der Swissair skizzierten Massnahmen diesem Erfordernis genügen, können weder Villiger noch Bremi sagen: «Es interessiert mich sehr, die Auswirkungen der getroffenen Massnahmen kennen zu lernen», sagt Ulrich Bremi zurückhaltend.
Ob Bundesrat Villiger schliesslich nicht doch die Bundeskasse öffnen wird, ist fraglich, denn das Überleben der Swissair-Gruppe hängt jetzt vom Erfolg der Arbeitsgruppe Bremi ab. Und ohne massiven Zufluss von neuem Kapital ist die Swissair kaum zu retten: «Die Bedingung für den Erfolg des neuen Businessplans ist, dass die Rekapitalisierung durch die Arbeitsgruppe Bremi gelingt», sagt Siro Barino, Sprecher der Swissair Group. Im Klartext heisst das: Wenn die Gruppe erfolglos bleibt, ist es aus mit der nationalen Fluggesellschaft.
Und ob die Rekapitalisierung zu Stande kommt, ist alles andere als sicher. «Ob es gelingt, weiss ich noch nicht, wir arbeiten daran», sagt Ulrich Bremi. Für Finanzminister Kaspar Villiger ist klar: «Der Bund beteiligt sich nur, wenn sich alle betroffenen Stakeholder auf ein Engagement einigen. Wenn einer davonläuft, riskiert er, den ganzen Prozess zum Scheitern zu bringen.» Wenn der Prozess vor dem Scheitern steht, drohen die Flieger am Boden zu bleiben. Es wird einige Standfestigkeit des Bundes brauchen, um unter dem dann aufkommenden Druck den Geldhahn geschlossen zu halten. Die Gefahr bleibt bestehen, dass der Grössenwahn der Verantwortlichen der Swissair das Unternehmen ruinieren wird. Das Steuer wurde vielleicht zu spät herumgerissen.
Nicht weniger auf Grösse erpicht war auch der Flughafen Zürich, der sich stolz Unique Zurich Airport nennt. Mit der beschlossenen Umstrukturierung der Swissair werden die Pläne für einen euro-päischen Hub in Kloten zur Makulatur. Wenn die Swissair die Langstreckenflüge um ein Viertel kürzt und ein Drittel weniger Umsteigepassagiere den Airport frequentieren, ist auch die hochtrabende Strategie von Unique Airport gescheitert. Bei Unique hat man einen Personal- und Investitionsstopp verhängt, aber für die fünfte Bauetappe nimmt das Unternehmen keine Änderungen mehr vor. Man macht auf Optimismus. «Nach dem Golfkrieg sind die Passagierzahlen auch vorübergehend eingebrochen», sagt Unique-Sprecherin Sonja Zöchling selbstbewusst. Die Krise hält sie für vorübergehend. Dieser unbeirrbare Wachstumsdrang brachte die Swissair ins Verderben. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.