Kapstadts: Die Lifestyle-Metropole an der Spitze Afrikas

Kapstadts

Eine Stadt ist guter Hoffnung: Fünf Jahre nach dem Ende der Apartheid ziehen Kapstadts Traumlandschaften Filmer, Fotografen und Touristen aus aller Welt an. Das neue Lifestyle-Mekka rückt Europa immer näher.

Der Startschuss zum vierten Drehtag fällt für die 54-köpfige Filmcrew kurz nach sieben Uhr morgens. Der Song «Jump» der Rockgruppe Van Halen dröhnt aus den scherbelnden Boxen eines Lieferwagens. Martin Jacobson winkt mit seinem Walkie-Talkie und treibt den Tross von Tontechnikern, Stylistinnen und Kameraleuten zum Drehort an die Witsands Beach, einem sichelförmigen Strand, zwanzig Autominuten von Südafrikas Kap der Guten Hoffnung entfernt.

Der 35-jährige Produktionsleiter von Moonlighting Filmmakers, einer der grössten Produktionsfirmen für Werbefilme in Kapstadt, steht unter Zeitdruck: Der britische Autokonzern Rover lässt am Kap in knappen 15 Tagen neun Werbespots drehen. Die Strandszenen mit der Surferin müssen während des guten Morgenlichts in den Kasten, danach sieht der Drehplan einen Kulissenwechsel vor.

Sanddünen, Felsenkliffs, Ozean, Weinberge und Wälder im Umkreis von 50 Kilometern. «Dieser Mix macht Kapstadt einzigartig», sagt Jacobson, der mit Oakley-Sonnenbrille in der Lockenmähne, Bermudashorts und Turnschuhen dem Dresscode der Filmbranche entspricht.

Traumkulisse Kapstadt. Die Vielfalt stimmungsvoller Landschaften zieht nicht nur Filmproduzenten und Modefotografen in ihren Bann, sondern auch immer mehr Touristen. Letztes Jahr besuchten rund eine Dreiviertelmillion Überseereisender den Westzipfel Südafrikas, 15 Prozent mehr als im Vorjahr. Auch die Schweizer haben die Feriendestination entdeckt: In den letzten fünf Jahren verdoppelte sich die Zahl der Südafrika-Reisenden auf fast 40 000. Der Touristenmagnet Kapstadt ist vom Schlussbouquet jeder Südafrika-Reise zum Hauptreiseziel aufgestiegen. Am Kap findet man kalifornisches Beachlife genauso wie den Lifestyle einer europäischen Metropole. Und Ruhesuchende können sich auf Weingütern mit toskanischem Ambiente entspannen.

Die Metropole Kapstadt, in deren Grossraum 2,9 Millionen Menschen leben, bietet eine pulsierende Bar- und Klubszene, exquisite Restaurants und immer mehr exklusive Designer-Boutiquen. Kein Wunder, spricht man hier von Afrikas Côte d’Azur. Kapstadts weisse Post-Apartheid-Generation sonnt sich im neu gewonnenen Glanz der Stadt und möchte nur ungern an die dunkle Ära weltweiter Ächtung und Wirtschaftsboykotte erinnert werden, die vor fünf Jahren jäh zu Ende ging.

Gegensätze sind am Kap auch ohne «Whites only»-Schilder geblieben. Hier prallen Erste und Dritte Welt so unmittelbar aufeinander, wie die Tafelbergkette mit dem tintenblauen Atlantik. In den schicken Küstenquartieren von Camps Bay und Clifton verschanzen sich wohlhabende Weisse in bewachten Villen. Die Armut hingegen trägt afrikanische Namen wie Khayelistsha oder Guguletu: Der Grossteil der schwarzen und farbigen Bevölkerung haust in den Townships der Cap Flats, den Mischlings- und Schwarzensiedlungen vor Kapstadts Toren, in Wellblechhütten und zum Teil erbärmlichen Verhältnissen. Dieser «Schönheitsfehler» ist für Kapstadt natürlich nicht imagefördernd und wird auch in der helvetischen Werbung ausgeblendet. Einen Teil der reizvollen Landschaften Kapstadts bekommen die Schweizer während der Hälfte des Jahres täglich acht Sekunden lang in die Stube geliefert: in Kurzwerbefilmchen für Vögele-Mode, die in der Schweiz jeweils nach der «Tagesschau» die Meteo-Prognosen ankündigen.

«Miamis Szenerie war abgelutscht, die Produktionen zu teuer und das Wetter unsicher», begründet Filmproduzent Reiner Roduner den Wechsel zur Werbekulisse Kapstadt. Der Zürcher fliegt diesen Monat zum vierten Mal ans Kap, um eine neue 28-teilige Staffel abzudrehen, die ab nächsten Februar gesendet wird. Anspruchsvolle Kundenwünsche ist sich auch Graham Cowburn von Cape Town Productions gewöhnt. Für ein Kindermode-Shooting organisiert der 29-Jährige problemlos zahme Geparden und Safari-Landrover. Cowburn kümmert sich überdies um das Wohlergehen seiner Auftraggeber. «Abends wollen die Europäer in schicke Restaurants und danach in coolen Klubs abtanzen.» Gefragt sind vornehmlich top gestylte Adressen.

Seit Filmer und Fotografen dem Kap eine internationalen Note aufgedrückt haben, lässt sich mit Lifestyle Kasse machen. Im stillgelegten East Pier in Kapstadts Hafen wurde das Amüsierviertel Victoria & Alfred Waterfront hochgezogen, ein Milliardenbau mit einer riesigen Shoppingmall, Kinos, Restaurants und Bars. Vor zehn Jahren eröffnet und ständig erweitert, wuchs die Touristenattraktion zum grössten Unterhaltungsmoloch Afrikas heran, der 1998 20 Millionen Besucher anzog.

Die Baulöwen haben bereits wieder gebrüllt. In den nächsten zwei Jahren soll das Areal zwischen Waterfront und dem seelenlosen City-Geschäftsviertel in Klein-Amsterdam verwandelt werden: Entlang dem Roggebaai-Canal entsteht ein neues Konferenzzentrum, Cafés, Restaurants und Loft-Apartments. Man will an alte Zeiten anknüpfen: Mitte des 18. Jahrhunderts waren Grachten noch ein koloniales Erbe der holländischen Stadtbegründer.

Fern vom Massentourismus der Waterfront ist die Long Street in der Innenstadt das augenfälligste Beispiel für die Verpuppung einzelner Quartiere zu Trendadressen. Einst eine beschauliche Durchgangsstrasse mit verlotterten Kolonialgebäuden und New-Orleans-Flair, war die Long Street für viele Kapstädter das spirituelle Herz ihrer Stadt, das den gemächlichen Lebensrhythmus am Kap angab. Nun schlägt es schneller, denn eingesessene Handwerkerbetriebe, Stundenhotels und Pfandhäuser wichen in letzter Zeit eleganten Restaurants und schicken Cafés. Mit öffentlichen Geldern wurde zudem die abgetakelte Grandezza viktorianischer Bauten und Art-déco-Fassaden aus der Jahrhundertwende fein säuberlich restauriert.

Das Resultat ist verblüffend: Die Long Street ist heute die pulsierende Hauptverkehrsader des Nachtlebens mit zahlreichen Szenebars und Klubs wie etwa der «Jet Lounge». Bullige Türsteher kontrollieren den Dresscode im derzeit hippsten Danceklub der Stadt, wo sich Models und Yuppies im Rhythmus von Drum ’n’ Bass und französischem House gegenseitig glücklich machen und einander Ecstasy-Pillen in den Mund schieben. Die Klubszene erfüllt inzwischen sogar EU-Norm: In den Szenetreffs an der Long Street liegen «Ibizia ’99»-Partyflyer auf.

Vom neuen Schwung hat auch die Gastronomie profitiert. Die schillernde Vielfalt der Restaurants und das Spitzenniveau der Küchen in Kapstadt sind Gourmet-Hochburgen wie Paris oder Genf ebenbürtig – zu wesentlich günstigeren Preisen.

«Nur von südafrikanischen Einkommen könnte die ganze Gastro- und Nightlife-Szene allerdings unmöglich leben», sagt Arthur Bisig. «Das Styling ist sichtlich auf europäische Kundschaft ausgerichtet.» Der Mann weiss, wovon er redet. Bisig, 49, hat den gefragten Lifestyle selber aus Zürich ans Kap gebracht. Der ehemalige Geschäftsführer des Zürcher In-Klubs «Kaufleuten» ist vor drei Jahren nach Kapstadt ausgewandert, wo er 1997 im aufstrebenden Quartier Gardens das «Fritz Hotel» eröffnete. Vom Klubmilieu hat er sich verabschiedet: «Das Szenegehabe in Kapstadt hat bereits Formen wie im Kaufleuten angenommen. Das nervte mich.»

Arthur Bisig, der sein Handy wie eine Taschenuhr an einer Kette trägt, legt Wert auf schickes Ambiente. Sein kleines Hotel im viktorianischen Stil hat er mit Art-déco- und Designer-Möbeln ausgestattet. «In Kapstadt hat man die Chance, etwas aufzubauen, wofür das Geld in der Schweiz nicht reichen würde», sagt Bisig. Ein neues Lebensgefühl gibts gratis dazu.

Davon kann auch die Ex-Miss-Schweiz von 1993, Patricia Fässler, nicht genug bekommen. Die 25-jährige Zürcherin lebt seit drei Jahren am Kap, wo sie bei der Agentur Bossmodels unter Vertrag ist. «Kapstadt ist sehr casual, die Menschen sind relaxed, als ob sie die ganze Zeit an der Beach wären», sagt Fässler. Selbst an Castings verziehe kein Kunde das Gesicht, wenn man mit nassen Haaren, Sonnenöl auf der Haut und Slip Slops – trendige Badelatschen – erscheine. «In Paris musste ich mich jedesmal rausputzen», erinnert sich Fässler.

Dank den Filmern und Modefotografen, die in die Stadt eingefallen sind, erhofft sich auch manches einheimische Model eine internationale Karriere. «Kapstadt ist zum Mekka der Modelbranche und zum heissesten Markt für neue Gesichter geworden», sagt Dyonne Rouch, 25, Agentin der internationalen Modelagentur Bossmodels.

Debbie Langer möchte als eines dieser «New Faces» entdeckt werden. Die 19-jährige Mischlingsfrau aus Kapstadt modelt, seit sie 13 Jahre alt ist. «Weisse oder schwarze Models haben in Kapstadt die besten Chancen – Cappuccino ist nicht sehr gefragt», schätzt Langer ihre Situation selbstkritisch ein. Trotzdem lässt sie sich nicht entmutigen und versucht ihr Glück fünfmal pro Woche an Castings. Langers Traum: Kapstadt verlassen, um in New York Modelkarriere zu machen. Seit eine Heerschar weiblicher Models den Sommer am Kap verschönert, hat sich die Metropole in touristischem Sinne von einem drögen Locarno zum exklusiven Saint-Tropez verwandelt. Aber auch für Männer gilt der Körperkult: Ohne trainierten Body braucht man an Kapstadts Stränden gar nicht aufzutauchen.

Lifestyle wird zelebriert, mit Wohlstand wird geprotzt, auch wenn er auf Pump ist. Am Wochenende stauen sich die Porsche-Boxter, BMW-Z3-Cabrios und Harleys an der Strandpromenade der Camps Bay, wo sich Kapstadts Jeunesse dorée in trendigen Strassencafés zum «Sundowner» trifft, dem Cocktail zum Sonnenuntergang mit dem Tafelberg im Rücken.

Die Gewinner der aufstrebenden Ferienmetropole sind in erster Linie weisse Kapstädter, denn von den Touristendevisen sieht die schwarze und farbige Bevölkerungsmehrheit am Kap selten etwas. Auch nach dem politischen Wechsel ist das Kap-Kapital weiss, wirtschaftliche Apartheid die Folge davon. Buppies, schwarze Yuppies, sind am Kap beinahe so selten wie Zebras und Elefanten.
Eine Ausnahme ist Marco Radebe, der einzige schwarze Restaurantbesitzer in Kapstadts City. Der Hüne führt sein Lokal «Marco’s African Place» in Bo-Kaap, dem Viertel der muslimischen Kap-Malaien mit Moscheen und grell bunten Häuserzeilen. In der ehemaligen Lagerhalle dominieren erdige Farben. An den Wänden hängen afrikanische Holzmasken. Das Geschäft laufe gut, «dank Touristen und Filmleuten», sagt Radebe, während er sein Handy wie einen Talisman umklammert. Der 42-Jährige startete seine Gastrokarriere vor 20 Jahren in Johannesburg im Restaurant «Wienerwald» und eröffnete 1990 sein eigenes Restaurant in Kapstadt – wegen der Apartheid damals noch zwingend mit einem weissen Geschäftspartner.

Heute ist Radebe sein eigener Chef. Seit einem Jahr führt er das 220-plätzige Lokal im Bo-Kaap-Viertel. Allerdings nicht ganz freiwillig. Denn von der Kloof Street im gut situierten Quartier Gardens, wo er zuvor drei Jahre lang ein Restaurant besass, hat ihn die weisse Nachbarschaft weggemobbt. «Man gab mir zu verstehen, dass ich nicht willkommen war, und hat Gästen abgeraten, bei mir zu essen», erzählt er. Als der Vermieter den Zins von heute auf morgen verdreifachte, gab er nach und zog weg. «Gesetze allein ändern Südafrika und die Menschen nicht über Nacht.»

Beim Leben zwischen Beach und Bar foutieren sich viele weisse Kapstädter darum, dass ihre Stadt in Afrika liegt. Die hohe Arbeitslosigkeit, Armut und Bandenkriminalität liegen jenseits des Tafelbergs. Europa scheint näher, zumindest im Kopf. Lifestyle-Männermagazine haben den Trend erkannt: «GQ», «FMH» und «Maxim» lancieren ab Dezember südafrikanische Ausgaben.

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