Schweizer Export mit Folgen
Vor hundert Jahren gründete der Schweizer Hans Gamper den grössten Fussballklub der Welt – den FC Barcelona.
Die Hausmeisterin kann ihre Tränen nur mit Mühe zurückhalten. «Ja, in diesem Haus lebte und arbeitete er. Und hier, im dritten Stock, erschoss er sich, an seinem Schreibtisch sitzend. Ganz Barcelona trauerte um ihn.» Das war im Sommer 1930 – und die Hausmeisterin der Calle de Gerona, Nummer vier, damals noch kaum auf der Welt. Trotzdem glaubt sie, Joan Gamper persönlich gekannt zu haben. Schliesslich ist der Mann, der im letzten Jahrhundert nach Barcelona zog, ein Stück Öffentlichkeit.
Ohne den Schweizer Hans «Joan» Gamper gäbe es den grössten Fussballklub der Welt nicht: Vor genau hundert Jahren gründete er den FC Barcelona. Er prägte den spanischen Klub in den Anfängen als Fussballer und Trainer, ebenso als Präsident und Financier. Wundersam verlief die Karriere des Winterthurers – und sie endete tragisch.
Am 28. Oktober 1899 erschien in der barcelonesischen Tageszeitung «Los Deportes» eine Anzeige von Hans Gamper, der Fussballbegeisterte suchte, um gemeinsam dem Spieltrieb zu frönen. Einige gleichaltrige Schweizer, spanische Nachbarn sowie Schotten und Engländer, die in der Textilindustrie der Stadt beschäftigt waren, hatte Gamper bereits zuvor für den Fussball begeistert.
Der damals 22-Jährige wird in den Chroniken hartnäckig als Winterthurer bezeichnet, was nur sehr bedingt zutrifft. Zwar prangt an der Jakobstrasse 7 in Winterthur seit vergangenem Jahr eine Gedenktafel zu Gampers Ehren. Doch in seinem Geburtshaus verbrachte Hans nur sein erstes Lebensjahr. Danach zog die Familie, in grossbürgerlichem Wohlstand lebend, nach Langenthal und später nach Zürich.
Der älteste Sohn von Bankdirektor Gamper fiel schon früh als sportliches Multitalent auf. Hans wirkte beim FC Excelsior, beim FC Basel und FC Zürich als Fussballer. Ausserdem soll seine Liebe dem Schwimmen, dem Rugby, der Leichtathletik und dem Radfahren gegolten haben. Meisterlich zeigte er sich vor allem auch auf zwei Rädern: Hans Gamper gewann die Ouvertüre auf der Radrennbahn Basel und ein internationales Rennen zwischen Zürich und Zug.
Vater Gamper lenkte den Weg seines Sprösslings jedoch rechtzeitig in die stramm bürgerliche Richtung. Hans sollte Import-Export-Kaufmann werden, und zwar mit Schwerpunkt Frankreich und Spanien. Nach einem Aufenthalt in Lyon – im städtischen Fussballverein brillierte er als Stürmer – landete Hans Gamper darum in Barcelona. Dort lebte ein Onkel, der ihn als Buchhalter bei der Crédit Lyonnais unterbrachte.
Am 29. November 1899 schlug die Stunde. Nach einigen Treffen in der Turnhalle des Gymnasiums Solé wurde der FC Barcelona als erster katalanischer Fussballverein gegründet. Gamper selber war der erste Captain, als Präsident amtierte der Auslandschweizer Wilhelm Wild. Es war dies auch der Tag, an dem das heutige Vereinswappen kreiert wurde – unter der Ägide von Hans Joan Gamper. Die Legende will, dass die Farben Blau und Rot eine Hommage Gampers an den FC Basel sind. Im Übrigen sind es die Farben und Wahrzeichen Barcelonas, die in einem «Kochtopf» ruhen.
«Warum denn ein Kochtopf?», wurde Gamper oft gefragt.
Es hatte bei der Gründung heftige Diskussionen um den Rahmen des Ve-reinswappens gegeben. Sollte er sich von jenem um das Wappen Barcelonas unterscheiden oder nicht? Schliesslich warf einer der Hitzköpfe das katalanische Sprichwort «Això es una olla» dazwischen. Was so viel bedeutet wie «Welch ein Wirrwarr». In dem Sprichwort kommt das Wort «olla» (Kochtopf, in dem ein Durcheinander herrscht) vor, und irgendjemand sagte unter dem Beifall aller: «Dann malen wir doch einfach einen Topf drum herum.»
Mit dem «Kochtopfwappen» auf der Brust trat die Barcelona-Elf zum ersten offiziellen Spiel am 8. Dezember 1899 inmitten der Radrennbahn de la Bonanova» gegen eine Mannschaft der englischen Kolonie in Barcelona an – und verlor. Bald gab es auch Siege, wobei sich Gamper als wahrer Goalgetter zeigte: Als Trainer, Captain und Mittelstürmer schoss er zwischen 1899 und 1903 in 48 Spielen über 100 Tore. Dann besann sich Gamper wieder auf seinen Beruf als Kaufmann, legte seine Ämter nieder und fungierte nur noch als Berater des Vereins.
Den hatte der FC Barcelona kurz darauf dringend nötig. Die Spieler waren untereinander zerstritten, die Kassen leer. Noch ganze 38 Getreue wählten Joan Gamper Ende 1907 zu ihrem Präsidenten. Diese erste Krise bewältigte Gamper mit seiner unerbittlichen Durchsetzungskraft: Er mobilisierte, was noch an Freunden da war, holte Abtrünnige zurück, warb um Geldspenden und lockte Spieler in seinen Klub, so dass Barça in den Jahren 1910/11 wieder an die nationale Fussballspitze vorstiess.
Bis 1925 folgte eine Krise der andern, und Hans Gamper liess sich vier weitere Male überreden, das Präsidentenamt für eine Wahlperiode zu übernehmen. Unterdessen hatte der Kaufmann für seine vierköpfige Familie finanzielles Wohlergehen erarbeitet, was ihn auch als Financier auftreten liess. So beispielsweise anno 1922, als der FC Barcelona nach politischen Querelen am Abgrund stand: Gamper legte eine Million Peseten auf den Tisch, womit der Klub in Les Corts ein Stadion mit einer Kapazität von 25 000 Zuschauern erstellen konnte. Das Stadion diente dem Klub bis 1957 als Spielstätte, danach zog er ins Nou Camp um. Im Stadtteil Les Corts erinnert heute ein Strassenname an Joan Gamper, den grosszügigen Geldgeber.
Am 1. Juni 1924 übernahm Gamper letztmals die Zügel des FC Barcelona. Dann kam es zu jenem verhängnisvollen Vorfall, der die politische Stimmung in Katalonien besser als jede Geschichtsbeschreibung spiegelt: Ein englischer Flottenverband befand sich seit Dezember 1925 im Hafen von Barcelona. Die Matrosen waren begeisterte Fussballer; ein Freundschaftsspiel gegen den FC Barcelona wurde angesetzt. Zuerst wurde die englische, dann die spanische Nationalhymne gespielt. Um den Autonomiebestrebungen Ausdruck zu verleihen, stimmten die Barcelonesen während der spanischen Hymne ein gellendes Pfeifkonzert an. Das war für den in einer Loge sitzenden Generaloberst Milans del Bosch, spanischer Befehlshaber für Katalonien, zu viel. Er ordnete die Schliessung des Stadions für sechs Monate an.
Barça-Präsident Gamper aber wurde nahe gelegt, das Land so schnell wie möglich zu verlassen. Er sollte für mindestens drei Monate in die Schweiz zurückkehren. Ausserdem hatte er schriftlich zu beschwören, sich nie wieder um das
Präsidentenamt zu bewerben. Für Hans Gamper brach an jenem Tag, dem 17. Dezember 1925, eine Welt zusammen. Schriftlich legte er bei seiner Demission nieder, dass der FC Barcelona niemals aufgehört habe, sich «getreu den Statuten nur an sportlichen Zielen zu orientieren». Die gegenwärtige Situation entspräche lediglich dem Wunsch, «ein patriotisches Ziel zu erreichen».
So weit war Gamper schon «Politiker» geworden, dass er offen liess, was er mit dem Wort «patriotisch» meinte: Unabhängiger Katalane? Oder unabhängiger Spanier? Jedenfalls war er ein gebrochener Mann. Sein Lebenswerk namens Barça sah er zerrüttet. Im Schweizer «Exil» konnte er sich nicht mehr recht um die Geschäfte kümmern. Depressionen plagten ihn. Er legte sein Geld in New York an und verlor es in der Weltwirtschaftskrise Anfang 1930 praktisch von einem Tag auf den anderen.
Am 30. Juli 1930 griff der 52-Jährige im Hause Calle Gerona Nummer vier in Barcelona zur Pistole und erschoss sich. Die Stadt erschrak, nahm Anteil. Tausende folgten seinen sterblichen Überresten, die in einer feierlichen Prozession vom Campo de Les Corts, wo man ihn in einer Kapelle aufgebahrt hatte, zum Friedhof von Montjuïc geführt wurden. Als einer der Enkel Gampers diesen Sommer dem FC Barcelona die «Trophäe Joan Gamper» übergab, äusserte er den Wunsch, das Nou Camp möge in Estadio Joan Gamper umbenannt werden. Dem Ansinnen wurde bisher nicht stattgegeben.