Raymund Breu – Milliarden-Jongleur
Novartis-Finanzchef Raymund Breu würde es begrüssen, wenn Konkurrent Roche als Kreuzbeteiligung ein Novartis-Aktienpaket übernähme.
–: Herr Breu, mit wie viel Geld jonglieren Sie im Laufe eines Jahres?
Raymund Breu: Wir investieren rund 40 Milliarden im Finanzmarkt – 23 Milliarden von der Firma und 17 Milliarden Pensionskassen-Kapitalien.
–: Von Haus aus sind Sie Mathematiker. Die Mathematik ist klar und rational. Jetzt haben Sie als Finanzchef von Novartis mit den Finanzmärkten zu tun. Diese sind irrational und unberechenbar. Und Ihr Kopf hängt davon ab, dass Sie in diesen wilden Märkten die richtigen Entscheide fällen.
Breu: Ich bin nicht Börsenhändler, ich bin Finanzchef einer Industriefirma. Im Vordergrund steht der Erfolg unserer Pharma-Produkte und damit der Erfolg unserer Firma.
–: Aber Sie verwalten mehr Vermögen als mancher Fonds oder manche Bank.
Breu: Ja, dafür beschäftigen wir ein Team mit 26 Fachleuten. Diese versuchen, die Vermögensverwaltung möglichst pro-fessionell zu machen.
–:: Sie sind die Bank des Novartis-Konzerns.
Breu: Wir sehen uns überhaupt nicht als Bank. Wir sind bloss die Finanzabteilung eines Pharma-Unternehmens, die einen nicht unbedeutenden Beitrag zum Gewinn leistet und für ein effizientes Controlling sorgt.
–: Die Novartis-Aktie hats in den letzten Monaten arg durchgerüttelt. Kennen Sie die Gründe der einzelnen Abstürze?
Breu: Die Gründe der meisten Bewegungen kenne ich: Ende Mai litten die Kurse unter der Verzögerung des Reizdarm-Medikaments Zelmac in Europa, Mitte Juni unter der Nichtzulassung von Zelmac in den USA und Ende Juni unter der Verzögerung bei der Einführung des Asthma-Mittels Xolair in den USA. Positive Impulse erhielt der Kurs dagegen durch die US-Zulassung zweier neuer Krebsmedikamente: Glivec Anfang Mai und Zometa am 20. August.
–: Da verdampfen innert Stunden riesige Kapitalien.
Breu: Infolge der Nichtzulassung von Zelmac in Europa und den USA ist der Kurs der Novartis-Aktie um rund zwölf Prozent gesunken. Damit wurde Novartis an der Börse eine Zeit lang zwanzig Milliarden Franken tiefer bewertet.
–: Eine Katastrophe?
Breu: Da müssen wir uns fragen, ob das berechtigt ist. Wir machten eine Rechnung, wie viel Wert uns maximal entginge, wenn Zelmac gänzlich ausfallen würde. Antwort: zehn Milliarden Franken. Und wenn sich die Einführung um ein, zwei Jahre verzögert, kamen wir auf ein bis zwei Milliarden. Also gibt es eine grosse Diskrepanz zwischen der Reaktion des Markts und den Fakten.
–: Im ersten Semester steigerte Novartis den Umsatz um zwölf Prozent und den Reingewinn um zehn Prozent. Wo sieht man den positiven Ausschlag auf Grund des hervorragenden Halbjahresergebnisses?
Breu: Das zeigt sich im kurzfristigen Kursverlauf relativ wenig.
–: Die Börse honoriert Ihre guten Zahlen nicht. Wieso?
Breu: Hier zeigt sich die Unsicherheit des heutigen Marktumfelds. Die meisten Anleger haben resigniert. Sie sitzen auf der Seitenlinie und kaufen nicht mehr. Der Markt wird nur mehr von Gerüchten und den professionellen Händlern getrieben. Diese haben Freude an grossen Ausschlägen. Davon leben sie. Die nutzen Gerüchte ganz bewusst aus, um Gewinne zu machen.
–: Solche Kursverläufe müssen Ihnen Albträume bescheren.
Breu: Nein, überhaupt nicht.
–: Ist Novartis nicht selber schuld, dass die Börse jeweils so heftig reagiert? Sie treiben mit Prognosen über Umsatzerwartungen aus Ihrer Produktepipeline den Aktienkurs hoch. Wenn es dann Verzögerungen gibt, kommt es zu Abstürzen.
Breu: Ich sehe das ganz anders. Die Finanzabteilung von Novartis bezieht ihr Selbstwertgefühl nicht aus dem Verlauf des Börsenkurses. Mich interessiert, ob es der Firma gut geht, ob sie wächst. Wenn die grundlegenden Trends stimmen, wird sich früher oder später auch der Börsenkurs wieder einspielen. Wenn wir gute Produkte haben, werden wir gute Erträge erwirtschaften. Das wird dann auch von der Börse honoriert.
–: Heute ist keine Firma mehr vor einer unfreundlichen Übernahme gefeit. Tiefe Aktienkurse sind verlockend für Raider.
Breu: Eine massive Unter- oder Über-bewertung einer Firma ist nur möglich, wenn Informationsdefizite bestehen. Und eine massive Unterbewertung gibt es nur, wenn die Analysten nicht alle positiven Aspekte einer Firma kennen. Dann gibt es nur eines: kommunizieren.
–: Fühlen Sie sich vom Markt fair behandelt, obwohl der Novartis-Aktienkurs in diesem Jahr um 13,5 Prozent gesunken ist?
Breu: (schmunzelnd) Das ist immer auch eine psychologische Frage. Wenn wir gelobt werden, finden wir das fair, und wenn wir kritisiert werden, ist das unfair. Im Durchschnitt fühlen wir uns fair behandelt. Dieses Jahr sind viele Aktien gesunken, die Pharmafirmen im Durchschnitt um 7,6 Prozent.
–: In letzter Zeit bekommt man aber den Eindruck, dass Bad News hart bestraft, Good News jedoch nicht belohnt werden.
Breu: Das ist immer auch eine Stimmungsfrage. Der heutige Markt ist ein Bärenmarkt. Da wird alles Positive ignoriert und alles Negative übertrieben. Das muss man akzeptieren. Davon lasse ich mich nicht beirren. Ich bin ja nicht Börsenhändler, und Novartis ist keine Bank. Mich interessiert viel mehr, ob der Pharmabereich gut läuft und ob wir das Wachstum in den USA von 20 Prozent noch steigern können. Das sind die wichtigen Fragen.
–: Ganz gleichgültig scheint Ihnen der Börsenkurs nicht zu sein. Sie haben eigene Aktien zurückgekauft. Damit kön-nen Sie den Novartis-Kurs stützen.
Breu: Wir haben in diesem Jahr Aktien zurückgekauft, aber wir dürfen das nur zu einem Zeitpunkt tun, wo wir keine wesentlichen Insider-Informationen haben. Solche Märkte bieten eine gute Kaufgelegenheit für den langfristigen Anleger.
–: Nachdem die US-Aufsichtsbehörde FDA über die Nichtzulassung von Zelmac informiert hatte, durften Sie kaufen.
Breu: Wenn etwas öffentlich bekannt ist und wir der Ansicht sind, dass die Reaktionen übertrieben sind, ist das für uns eine Gelegenheit. In diesem Jahr haben wir für ungefähr drei Milliarden Franken günstig eigene Aktien gekauft.
–: Wäre sonst der Novartis-Kurs noch stärker eingebrochen?
Breu: Wahrscheinlich schon.
–: Gibt es eigentlich eine Sippenhaftung unter den Pharmakonzernen? Am Tag, als die Bayer-Aktie wegen Todesfällen im Zusammenhang mit dem Medikament Lipobay abstürzte, sank auch die Novartis-Aktie.
Breu: Unsere Aktie hätte eigentlich steigen sollen, da unser Medikament, das Lescol XL, eine sichere Alternative zu Lipobay ist. Sie sank jedoch gleichzeitig – aber aus ganz anderen Gründen. Die Zeitung «Cash» publizierte eine Geschichte über Sammelklagen gegen Novartis in den USA. Das war zwar kalter Kaffee, hatte aber negativen Einfluss. Und in London geisterte das Gerücht herum, das neue Krebsmittel von Novartis, Zometa, werde nicht bewilligt. Und auch darauf reagierten die Investoren.
–: Das zeigt die Panik an den Börsen, wenn jedes Gerücht voll durchschlägt.
Breu: Bei solchen Berichten und Gerüchten muss man sich immer fragen, wem sie nützen.
–: Wem haben sie genützt?
Breu: Den Händlern, die von den kurzfristigen Schwankungen leben, und jenen Spekulanten, die auf sinkende Kurse von Novartis gewettet hatten.
–: War die erste Mai-Woche dieses Jahres für Sie eine gute Woche?
Breu: Was war in dieser Woche?
–: Sie erinnern sich nicht mehr? In dieser Woche haben Sie ein 20-Prozent-Paket Ihres Konkurrenten Roche gekauft.
Breu: (lachend) Das war eine sehr spannende Woche. Es gibt immer wieder Zeiten, wo man sehr schnell reagieren und entscheiden muss.
–: In der Presse konnte man nur lesen, Ihr Konzernchef Daniel Vasella habe mit Martin Ebner telefoniert …
Breu: Ich war mit Herrn Vasella sehr intensiv in dieses Geschäft involviert. Wir mussten uns fragen, ob es strategisch Sinn macht und zu welchem Preis es interessant wäre. Ich hatte beratende Funktion. Entschieden hat letztlich der Verwaltungsrat.
–: Mit dem Kauf des Roche-Pakets sind Sie aus dem Schatten des berühmten Henri B. Meier getreten, des ehemaligen Finanzchefs von Roche. Mit diesem Coup haben Sie gezeigt, welche graue Eminenz der Grossindustrie nun die grossen Deals macht.
Breu: Ich möchte da nicht von einem Coup reden. Das war eine einmalige Gelegenheit und wahrscheinlich langfristig eine gute Investition für Novartis.
–: Sie lachen sehr zufrieden.
Breu: Mich freuts natürlich, dass Novartis fähig ist, einen solchen strategischen Entscheid innert Stunden zu fällen. Das zeigt, dass wir eine klare Strategie haben und dass die Entscheidungswege sehr kurz sind.
–: Vor einem Jahr ging Novartis in den USA an die Börse. Haben Sie sich davon nicht einen positiveren Einfluss auf den Börsenkurs erhofft?
Breu: Kurzfristig ist da nicht viel zu erwarten. Am Anfang war der Trading-Anteil in New York etwa 2 Prozent, jetzt sind es 7,5 Prozent des weltweiten Volumens. Der wichtigste Grund für das Listing in den USA war die Umstellung der Denkweise: Es galt, die Firma wie eine US-Pharmafirma zu führen und das Management an die Standards der US-Finanz-märkte zu gewöhnen. Heute sind wir auch bezüglich Transparenz so weit wie beispielsweise die US-Pharmafirma Pfizer.
–: Den Lokalkonkurrenten Roche haben Sie durch Ihre starke Minderheitsbeteiligung bereits domestiziert. Haben Sie eigentlich keine Angst, dass Roche zurückschlägt und ein Aktienpaket von Novartis zusammenkauft?
Breu: Im Gegenteil. Das würde mich gar nicht stören.
–: Wirklich nicht?
Breu: Nein. Roche wäre ein willkommener Aktionär. Novartis wäre eine gute Anlage für Roche. Und eine Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen beiden Firmen wäre auch keine schlechte Sache.