Nun reifen Apples Früchte
Das erste grosse Update macht Apples neues Betriebssystem Mac OS X alltagstauglich. Zumal einige der wichtigsten Anwendungen bald folgen.
Etwas mehr als ein halbes Jahr ist es her, seit Apple mit der Vorstellung des Mac OS X die Weichen für seine zukünftige Betriebssystemsschiene gestellt hat. Die zehnte Version der Systemsoftware für den Macintosh kombiniert einen Unix-Kern mit einer durchgestylten grafischen Benutzeroberfläche. Diese Kombination führt zu mehr Systemstabilität und verbessertem Multitasking – dem gleichzeitigen Ausführen mehrerer Anwendungen -, ohne aber die vom Mac gewohnte komfortable Bedienung zu vernachlässigen. Allerdings bedingt dieses neue Betriebssystem auch eine Anpassung der Anwendungsprogramme, sollen diese in den Genuss der neuen Funktionen und der halbtransparenten Aqua-Oberfläche kommen. Anpassungen, die Zeit benötigen und dazu geführt haben, dass beim Erscheinen des Mac OS X im Frühjahr erst wenige der wichtigen Anwendungen vorlagen.
Kinderkrankheiten auskuriert
Doch auch Apple selbst ist mit der Entwicklung des neuen Betriebssystems offenbar nicht so schnell vorangekommen wie erhofft. Nach der fast siebenjährigen Odyssee war der Erfolgsdruck so gross, dass der angekündigte Erscheinungstermin nach mehreren Verschiebungen unbedingt eingehalten werden musste. Als Konsequenz davon war die erste Version des Mac OS X noch mit einigen Kinderkrankheiten behaftet, ein Phänomen, das bei den meisten neuen Betriebssystemen zu beobachten ist.
Folglich präsentierte sich das Mac OS X 10.0 zwar optisch attraktiv und mit viel versprechenden Eigenschaften, aber auch mit einigen Ecken und Kanten. Am stärksten ins Gewicht fielen die fehlende Unterstützung von DVDs und CD-Brennern sowie insbesondere die eher gemächliche Geschwindigkeit der neuen Oberfläche. Dies machte sich vor allem im Finder bemerkbar, der für den Zugriff auf Speichermedien dient. Diese seitens Apple bekannten Mängel galt es raschmöglichst auszumerzen. Termingerecht erschien denn Ende September auch das ersehnte erste grosse Update. Dieses enthält offenbar so viele Änderungen, dass es gleich eine gesamte CD füllt – ein Hinweis darauf, dass sich seit der ersten Ausgabe einiges getan hat.
Nicht augenfällig, aber offensichtlich ist denn auch die wichtigste Verbesserung bei der neuen Version: Tempo. Auf Manipulationen an Fenstern, bei der Menü- und Finder-Bedienung und beim Starten von Programmen reagiert das Betriebssystem spürbar schneller, die vorher üblichen Kunstpausen gehören der Vergangenheit an. Mit dem Mac OS X 10.1 lässt sich auch auf blau-weissen G3-Macs und iMacs vernünftig arbeiten, was die Attraktivität des neuen Betriebssystems für Besitzer nicht mehr ganz taufrischer Rechner erhöht.
Und auch sonst entsprechen die seit Monaten auf der Apple-Website angekündigten Verbesserungen weitestgehend den Erwartungen. Die Bedienung wurde an einigen Stellen vereinfacht und die Unterstützung verschiedenster Medien verbessert. So wird denn Version 10.1 dem von Apple so gerne kolportierten Image als «Media Hub» gerecht, als Schnittstelle für verschiedene Mediendaten – jedenfalls meistens. Daten-CDs, und auf entsprechend ausgerüsteten Macs auch DVDs, lassen sich direkt im Finder brennen, indem die Daten auf das leere Fenster eines ebensolchen Rohlings gezogen und per Klick auf den entsprechenden Knopf verewigt werden. Eine separate Brennsoftware wird nur noch für spezielle Zwecke benötigt, wie etwa für die Produktion von Audio-CDs oder bootfähigen Speichermedien.
Die erhöhte Arbeitsgeschwindigkeit reicht nun auch aus, um DVD-Filme abzuspielen. Allerdings nur, wenn der Rechner über eine AGP-Grafikkarte verfügt. PCI-Karten Decoder, also Hardware zur Entkomprimierung von Filmdaten, werden unverständlicherweise nicht unterstützt. Besitzer von blau-weissen G3-Macs und G4-Rechnern der ersten Generation müssen also aufs Kinovergnügen verzichten. Diesem Abstrich im Unterhaltungssektor steht im Bürobereich der direkte Zugriff auf Windows-Rechner gegenüber, was die bisher benötigte Zusatzsoftware überflüssig macht und die Integration von Macs in Windows-Umgebungen erleichtert. Und schliesslich profitieren vom Update auch ältere Anwendungen, da die neue Version auch das Mac OS 9.2 beinhaltet, welches in der so genannten Classic-Umgebung für eine bessere Zusammenarbeit mit dem Mac OS X sorgt. Insgesamt ist es Apple mit dem ersten grossen Update gelungen, die Kinderkrankheiten auszumerzen und ein alltagstaugliches Produkt zu erschaffen.
Anwendungen am Horizont
Doch das beste Betriebssystem nützt nichts, wenn entsprechende Anwendungen fehlen. Hier hat sich gezeigt, dass frühere Ankündigungen von Apple bezüglich des Aufwands für Anpassungen doch etwas zu optimistisch ausfielen. Es bedarf offenbar einiger grundlegender Änderungen, um eine Anwendung aufs Mac OS X zu trimmen. Dies lässt sich daran erkennen, dass die wichtigen Applikationen nur langsam in einer entsprechenden Version folgen. Zu den seit längerem verfügbaren Anwendungen wie dem Zeichenprogramm FreeHand von Macromedia und FileMaker 5.5, der wohl populärsten Datenbank für den Mac, hat sich nun auch Adobes Illustrator 10 gesellt. Im Frühjahr 2002 soll dann die Layout-Software InDesign 2.0 folgen. Wann mit der am weitesten verbreiteten DTP-Anwendung zu rechnen ist, mit XPress, steht noch in den Sternen. Quark hält sich wie immer bedeckt und lässt nur verlauten, dass eine entsprechende Version in Entwicklung sei.
Dasselbe gilt für die Bildbearbeitung schlechthin, für Photoshop. Es darf vermutet werden, dass sich Herausgeberin Adobe nicht mit einer voreilig auf den Markt geworfenen Version die Finger verbrennen will, was ihre zahlreichen Kunden aus der grafischen Branche verärgern würde. Diesen bleibt als Alternative derzeit nur die Graphics Suite 10 von Corel, die mit Photo Paint und Corel Draw sowohl Bildbearbeitung als auch Zeichenprogramm enthält. Da also die wichtigsten Anwendungen im professionellen Grafikbereich noch nicht in einer Version für das Mac OS X vorliegen, dürfte dieses traditionelle Kundensegment von Apple mit dem Umstieg eher noch zuwarten.
Etwas früher umsteigen dürften dagegen Office-Anwender. Zum einen liegt mit AppleWorks 6.2 seit längerem ein angepasstes, wenn auch nicht sehr leistungsstarkes Büropaket vor. Und zum anderen hat Microsoft für den November sein auch auf dem Mac dominierendes Office in einer Version für das Mac OS X angekündigt. Aus diesem Office v.X steht auf der Homepage von Microsoft USA eine Betaversion von Word bereit, die einen ersten Eindruck vermittelt. Zu hoffen ist allerdings, dass die eher langsame Arbeitsgeschwindigkeit auf das frühe Entwicklungsstadium zurückzuführen ist. Für den Schutz vor allfälligen Makro- und anderen Viren ist ebenfalls gesorgt, stehen doch mit Norton Antivirus und Personal Firewall bereits zwei Abwehrprogramme gegen Eindringlinge auch aus dem Internet bereit.
Umstieg absehbar
Unterstützung erhält Apple von einer Seite, die bislang eher im Gebiet der teuren Unix-Workstations anzutreffen war: von den Anbietern professioneller 3D-Modelliersoftware. Denn nebst dem seit längerem auf der Mac-Plattform verfügbaren Cinema 4D des deutschen Herstellers Maxon und Lightwave 3D liegt nun auch Maya von der SGI-Softwareschmiede alias Wavefront vor. Dieses Produkt findet vor allem in der Filmindustrie Verbreitung und richtet sich mit einem Preis von umgerechnet etwa 12 000 Franken in erster Linie an Grafikprofis. Und falls sich das Gerücht der französischen Fanseite macplus.net bewahrheiten sollte, steht auch bald eine Renaissance bevor: Apple soll nämlich an einer für das Mac OS X angepassten Version des vor mehr als drei Jahren eingestellten Kult-Multimediaprogrammes HyperCard arbeiten. Noch hat HyperCard potente Anwender, setzt doch der französische Autohersteller Renault auf diese Software und wäre an einer Neufassung sicherlich interessiert.
Mit dem Mac OS X 10.1 präsentiert Apple die erste Version seines neuen Betriebssystems, die auf breiter Ebene einsetzbar ist. Dies verdankt es in erster Linie dem spürbaren Geschwindigkeitszuwachs und der Unterstützung von DVD-Laufwerken und CD-Brennern. Für Anwender, die technologisch auf dem Laufenden bleiben wollen, dürfte nun der Zeitpunkt für den Umstieg gekommen sein. Für eine grössere Umstiegswelle wird vor allem Microsofts Office v.X sorgen. Auch wer mehrheitlich noch mit älteren Anwendungen arbeitet, kommt mit dem Mac OS X in den Genuss einer verbesserten Systemstabilität und profitiert in einigen Bereichen vom neuen Betriebssystem, etwa beim Internetsurfen. Sofern die Hardware einigermassen aktuell ist, kann die heutige Version des Mac OS X durchaus als Hauptbetriebssystem fungieren. Denn Ausgabe 10.1 präsentiert sich endlich als so alltagstauglich, wie es die Anwender von Apple eigentlich auf Anhieb erwarten.