Kubilay Türkyilmaz: «Ich bereue nichts»
Die Reizfigur im Schweizer Fussball, Kubilay Türkyilmaz, ist zum Musterknaben geworden.
Man liebt und hasst ihn, manchmal beides zur gleichen Zeit. Kubilay Türkyilmaz ist Kult- und Reizfigur des Schweizer Fussballs in einer Person. Ein begnadeter Goalgetter, der meist passiv auf dem Feld herumsteht. Ein extravaganter Lebemann, dem nichts wichtiger ist als seine beiden Kinder. Vor allem aber ist «Kubi» die farbigste Figur im grauen Schweizer Fussballalltag. Oder ist das alles schon Vergangenheit?
Zuletzt gerieten diese schiefen Bilder jedenfalls ins Wanken. Kubi, die launische Diva, spielt beim vor kurzem fast bankrotten FC Luzern und überzeugt mit guten Leistungen. Kubi kehrt zurück in die Nationalmannschaft und erzielt gleich drei Tore. Einen «neuen Kubi» hat der «SonntagsBlick » ausgemacht. Wie ein «umgestülpter Handschuh» wirkt er auf Leute, die ihn kennen und den Wandel auf seine neue Freundin Roberta zurückführen. Hat sie den Bengel in einen Engel verwandelt? Macht ihn die Brille, die er seit neustem ab und zu trägt, gleich zum Musterknaben?
Er selber siehts prosaisch. «Mit dem Alter wird man ruhiger und weiser», sagt der 32-jährige Tessiner. Und mit Schalk in der Stimme fügt er an: «Man muss auch mehr trainieren, wegen der Muskulatur.» Als Trainingsweltmeister war Türkyilmaz nie bekannt. Heute wundern sich Beobachter darüber, dass er in der Nati klaglos alle Übungen mitmacht. Auch in Luzern habe er sich gut integriert, sagt Trainer Andy Egli. Der Thurgauer spielte mit Kubi einst in der Nationalmannschaft. «Kubi ist selbstkritischer geworden. Er hat gemerkt, dass er mit seiner Art nicht überall ankommt», sagt Egli. Sonst aber habe er sich nicht verändert. «Seine Extravaganzen sind die gleichen wie früher.» Also kein «neuer Kubi»? Ist er immer noch der Lebenskünstler, der durch die Nachtklubs zieht, auf schöne Frauen und schnelle Autos steht? Der Otto Rehhagel versetzt, als dieser über einen Transfer zu Kaiserslautern verhandeln will? Der als Sohn türkischer Eltern erfahren hat, was Rassismus ist? Der immer für einen Spass zu haben ist und gleichzeitig überall Feinde sieht? Der als arrogant gilt und eigentlich nur sensibel ist?
Als Fussballer hat sich Kubilay Tür-kyilmaz nicht geändert. Immer noch meidet er die eigene Platzhälfte wie eine verbotene Zone. Lange bleibt er unsichtbar, bis er plötzlich explodiert. Nicht selten liegt der Ball dann im Tor. «Kubi kann nicht 90 Minuten auf dem Platz herumhetzen», sagt Andy Egli. Entscheidend seien seine Exploits, dann sehe man ihm auch nach, dass er sich Pausen nehme.
Neben dem Platz jedoch sind Veränderungen unübersehbar. Zwar geniesst Kubi beim FCL, ähnlich wie zuvor bei den Grasshoppers, eine Art Sonderstatus. «Man kann einen Kubi nicht wie andere Spieler behandeln», sagt der Trainer.
Allerdings habe er einige Spielregeln aufgestellt, mit denen Kubi nicht die geringsten Probleme bekunde. An einem Training hat der sensible Star jedenfalls noch nie gefehlt, und als er zuletzt wegen Beschwerden an der Achillessehne auf das Länderspiel gegen Wales verzichten musste, absolvierte er brav seine Sondereinheiten mit dem Physiotherapeuten. Auch sonst ist einiges anders. Statt mit einem Ferrari, Porsche oder Mercedes fährt Kubi heute mit einem Audi Kombi durch die Gegend. Er steht für Interviews zur Verfügung, obwohl er zu den Medien ein zwiespältiges Verhältnis hat, vor allem zum «Blick»: «Die haben keinen Respekt. Man muss nur lesen, was sie über Chapuisats Scheidung schreiben.» Nur weil er Fussballer sei, gehöre sein Privatleben nicht an die Öffentlichkeit, sagt Kubi, der genug einschlägige Erfahrungen gemacht hat, sei es bei seiner eigenen Scheidung oder als man ihm eine Affäre mit Skifahrerin Karin Roten nachsagte. Dass er den Medien immer wieder Stoff für solche Geschichten lieferte, ist die andere Seite. Doch zu seiner Vergangenheit hat Kubi nur eines zu sagen: «Ich bereue nichts.» In diesem Geiste sieht er auch die letzte Episode, die ihm negative Schlagzeilen einbrachte: Den Rauswurf bei GC. «Roger Hegi hat keinen Respekt, auch nicht vor sich selbst», sagt Türkyilmaz über den Trainer, der ihn im Frühjahr vor die Tür setzte. Die folgende Zeit war nicht einfach. Kubi spielte in Locarno und konnte den Abstieg aus der Nationalliga B nicht verhindern. Dann hielt er sich bei seinem Stammklub Bellinzona fit, scheinbar ohne Perspektive. Doch sein Ehrgeiz war neu erwacht: «Ich wollte es allen zeigen, die behaupteten, dass Kubi am Ende ist.» Und tatsächlich fand er einen neuen Klub: Der italienische B-Ligist Brescia verpflichtete den Stürmer für eine Ablösesumme von 500 000 Franken. Ein Jahr zuvor hätte GC von Istanbulspor noch das Zehnfache bekommen können.
Weil Brescia schon drei Nicht-EU-Bürger unter Vertrag hatte, musste Türkyilmaz «parkiert» werden. Was sich angesichts seines Rufs nicht als einfach erwies. FCZ-Präsident Sven Hotz wollte von ihm nichts wissen, und auch Luzerns Albert Koller gibt zu, dass er skeptisch gewesen sei: «Doch als ich Kubi persönlich traf, habe ich meine Meinung revidiert.» Gleiches lässt sich von den Luzerner Fans behaupten, die zuerst gegen Kubi opponierten. «Sie haben wohl geglaubt, ich wolle bloss abkassieren», sagt der Spieler. Das Gegenteil trifft zu. Auf «höchstens 250 000 Franken pro Jahr», kommt er gemäss Koller beim FCL. Hätte er sich auf die faule Haut gelegt und seinen Vertrag mit GC weiterlaufen lassen, wäre es mehr als das Doppelte. Auch das ein Indiz für einen «neuen Kubi».
Die Fans habens gemerkt. Heute empfangen sie ihn schon beim Einspielen mit «Kubi! Kubi!»-Rufen. Fast noch spektakulärer wirkt sein Comeback in der Nati. Kaum ein Coach von Stielike über Hodgson bis Fringer, der mit dem eigenwilligen Tessiner nicht Mühe gehabt hätte. Zum Eclat kam es im Frühjahr 1998, als er sich vor einem Freundschaftsspiel verabschiedete, mit einer angeblichen Wadenverletzung. Gegenüber Journalisten aus dem Südkanton tönte es anders: Er fühle sich im Nationalteam nicht mehr willkommen. Was Nationalcoach Gilbert Gress auf die Palme trieb. «Kubi, c’est fini!», soll der Elsässer in der Kabine ausgerufen haben. Doch manchmal springt auch ein Gress über seinen Schatten: Vor den Spielen gegen Dänemark und Weissrussland holte er Türkyilmaz zurück.
Am Ende war kein Spieler über die verpasste EM-Qualifikation mehr enttäuscht als Kubi. Umso klarer deklariert er sein Ziel: «Ich will an der WM 2002 dabei sein.» Dann wäre er 35 und für einen Stürmer ziemlich alt, doch das stört ihn nicht. 1994 in den USA fehlte er wegen einer Verletzung, aber auch, weil Roy Hodgson pflegeleichte Ersatzspieler bevorzugte. Jetzt will er es nochmals wissen, und mit Gilbert Gress habe er keine Probleme: «Um das gleiche Ziel anzustreben, müssen wir keine Kumpels sein.»
Und noch einen Traum will er sich erfüllen: mit Brescia in der Serie A spielen. Wenn er davon spricht, legt Kubi seine Zurückhaltung ab, zeigt seine Begeisterung. Italien ist sein Traumland, er will die Möglichkeit packen, dort noch einmal zu spielen. Denn über den Zustand des Schweizer Fussballs hat er keine Illusionen: «Bei uns herrscht einfach nicht die gleiche Begeisterung wie in anderen Ländern.» Derzeit liegt Brescia auf Platz zwei in der Serie B. Ob Kubi noch in dieser Saison nach Italien wechselt, entscheidet sich demnächst. Sein Vertrag in Luzern läuft bis Ende Jahr, mit einer Option bis Juni 2000. Kubi nimmts, wie es kommt: «Ich bin Luzern sehr dankbar und werde alles tun, damit wir in die Finalrunde kommen.»
Kubi, der Musterknabe. Doch gerade bei einem genialen Schlitzohr wie Tür-kyilmaz weiss man nie. Und eigentlich wäre eine totale Läuterung sogar zu bedauern, findet selbst Trainer Andy Egli: «Bei Kubi gehören Emotionen einfach dazu. Wäre er plötzlich anpasserisch, dann wäre er nicht mehr Kubi.» Und der Schweizer Fussball erheblich ärmer.