In der Warteschlaufe
Nach seinem frustrierenden Abgang als deutscher Bundestrainer hat Berti Vogts wieder Lust auf Fussball. Vielleicht in der Schweiz.
-: Herr Vogts, der deutsche Fussball und Ihr ehemaliger Klub Borussia Mönchengladbach haben eines gemeinsam: Beide sind nur noch zweitklassig.
Berti Vogts: Borussia Mönchengladbach geht es nicht sehr gut. Für den deutschen Fussball als Ganzes aber trifft dies nicht zu. Wir haben uns direkt für die EM qualifiziert, während die grosse Fussballnation England in die Relegation muss.
-: Trotzdem hat sich die deutsche Nationalelf zuletzt öfter blamiert als zuvor in Jahrzehnten.
VOGTS: Ich hatte dem DFB vorgeschlagen, einen Neuaufbau vorzunehmen. Doch man hat einen anderen Weg eingeschlagen, das muss man akzeptieren.
-: Zumindest zeigen die jetzigen Resultate, dass Sie nicht allein schuld waren an der Misere.
VOGTS: Ich habe Briefe bekommen von Journalisten, die sich entschuldigt haben, damit kann ich ganz gut leben. Im Nachhinein bin ich froh über meinen Rücktritt. Es ist schon ein enormer Druck, wenn man ständig Schuldzuweisungen bekommt. Dabei ist es eine tolle Bilanz, wenn man von 102 Länderspielen als Bundestrainer nur zwölf verloren hat.
-: Sie haben schon seit Jahren vor einem Nachwuchsproblem gewarnt.
VOGTS: Und nun bin ich traurig, dass alles so eingetreten ist, wie ich gesagt habe. Vielleicht setzt sich der eine oder andere ins stille Kämmerlein und fragt sich, ob man nicht auf den Trainer Vogts hätte hören müssen. Ich hatte viele Ideen, unter anderem wollte ich ein Jugendsystem einführen mit drei Spitzen und einem offensiven Spieler dahinter, damit wir wieder Kreativspieler bekommen.
-: Ulli Stielike sagt, die Probleme begännen an der Basis, weil es keinen Strassenfussball mehr gebe.
VOGTS: Den gibt es doch schon seit 20 Jahren nicht mehr. Ulli geht sehr leichtfertig mit gewissen Dingen um. Er behauptet auch, wir hätten nicht genügend Bolzplätze, obwohl wir so viele schöne Fussballplätze haben in Deutschland. Strassenfussball bedeutet, dass einer selber die Kugel nimmt und anfängt beim Training zu dribbeln. So etwas muss man auch in den Vereinen zulassen.
-: Inwiefern?
VOGTS: Mein Sohn hat ja auch mal ein bisschen gekickt. Dort wurde im Training sechs gegen sechs gespielt, fast über den ganzen Platz. Das sei wegen der Kondition, hiess es. Man muss doch mit Neunjährigen nicht konditionell arbeiten! Auf kleinen Spielfeldern haben sie viele Ballkontakte und fangen an, sich zu reiben. Dann musst du ihnen den Übersteiger gar nicht zeigen, die fangen selber damit an. Wenn sie es selber lernen, werden sie stark. Man sollte gar keine Meisterschaften machen im Jugendbereich.
-: Wenn man Sie so hört, denkt man an Ihren Satz, wonach Sie im Herzen Jugendtrainer geblieben sind. Es hiess, Sie würden wieder im Nachwuchsbereich des DFB tätig werden.
VOGTS: Nein, ich werde weiter im Profifussball arbeiten. Ich bin jetzt in einem Stadium, wo ich bereit bin, eine neue Aufgabe zu übernehmen.
-: Man hat Ihren Namen mit diversen Nationalteams und Klubs in Verbindung gebracht.
VOGTS: Zwei, drei Dinge habe ich auch gelesen, wobei ich aber kein Wort mit den Leuten gesprochen hatte. Das ist manchmal lustig. Genau wie wenn man von Vereinen angerufen wird und weiss, der Trainer dort hat noch einen Vertrag über drei Jahre (lacht). Das ist unglaublich.
-: Das Trainerbusiness ist nicht einfacher geworden, der Druck wächst.
VOGTS: Wenn man acht Jahre Trainer der deutschen Nationalelf war, lernt man, mit Druck umzugehen.
-: Sie wurden von den Medien zum Sündenbock gemacht. Bleibt da Groll zurück?
VOGTS: Nein, es wird nie mehr einen Bundestrainer geben, der so offen zu den Medien war. Ich habe alle gleich behandelt, ob das kleine Lokalblatt oder die grosse Boulevardzeitung. Man kann das als naiv bezeichnen, aber ich war offen, ehrlich, dazu stehe ich.
-: Ein häufiger Vorwurf an Ihre Adresse lautete, Sie hätten als Bundestrainer zu viele Kompromisse gemacht. Zum Beispiel bei den Comebacks von Matthäus und Effenberg.
VOGTS: Warum habe ich Lothar Matthäus zurückgeholt? Olaf Thon war verletzt, Thomas Helmer war verletzt, da musste ich mich für die Mannschaft entscheiden. Und um Stefan Effenberg wollte ich eine neue Mannschaft aufbauen. Deshalb war ich bereit, einen Schlussstrich zu ziehen und die alte Geschichte zu vergessen.
-: Und dann hinterliess Effenbergs Comeback einen zwiespältigen Eindruck. Es hiess, auf Malta seien seine Leistungen an der Bar beeindruckender gewesen als auf dem Feld.
VOGTS: Es war ein Abend, wo die Spieler nach der Partie zwei Stunden unterwegs waren. Ist das so schlimm? Fussballer müssen auch mal abschalten, müssen auch mal einen Barbummel machen.
-: Ihnen hat Günter Netzer geraten, ins Ausland zu wechseln, um Abstand zu gewinnen.
VOGTS: Ich könnte mir vorstellen, im Ausland zu arbeiten. Es müsste aber vieles stimmen wie etwa eine gute Schule für meinen Sohn.
-: Die gibt es in der Schweiz.
VOGTS: Das Thema stellt sich nicht, denn Gilbert Gress hat einen Vertrag.
-: Stresst Sie die Jobsuche?
VOGTS: Nein, ich vergleiche das mit einem Flugzeug im Landeanflug, das sich in einer Warteschlaufe befindet (lacht).
-: Hört sich langweilig an.
VOGTS: Ich bin ja noch in der Technischen Kommission der Uefa. Da gibt es eine Menge zu arbeiten, und dazu bin ich oft im Ausland und schaue mir Spiele an.
-: Davon gibts ja mehr als genug – vor allem seit Einführung der neuen Champions League.
VOGTS: Dort spielte Bayern München gegen Manchester, Glasgow und Valencia. Das sind Highlights für die Spieler. Dafür gibts dann Probleme, wenn man die Nationalspieler gegen Mannschaften wie Moldawien oder Albanien zu motivieren hat.
-: Die deutschen Spieler mögen über Moldawien fluchen, aber die Moldawier wollen gegen Deutschland spielen.
VOGTS: Jeder grosse Verband sollte pro Saison ein «sportpolitisches Spiel» austragen, etwa England gegen Moldawien oder Frankreich gegen Liechtenstein. Man muss aber umdenken, sonst kommt auf die Nationalmannschaften die Gefahr zu, dass der Vereinsfussball links und rechts vorbeizieht.
-: In der Schweiz ist das anders: Wir haben auf allen Ebenen Mühe, mit den Grossen mitzuhalten.
VOGTS: Es ist wie in Holland: Die Besten spielen im Ausland, und natürlich leidet der Vereinsfussball darunter. Aber die Schweizer haben das Glück, dass sie andere Gesetze haben. In Deutschland können sie mit elf Ausländern spielen, in der Schweiz nicht. Ich frage mich aber, wie lange es sich die Zuschauer gefallen lassen, dass etwa ein Klub wie der VfB Stuttgart mit acht Ausländern spielt. Ich habe nichts gegen überragende Ausländer, aber gegen Durchschnitt. Da ist es besser, wenn man auf heimische Talente setzt. Und das ist die Chance der Schweizer. Denn in der Schweiz gibt es genauso gute Talente wie in Deutschland oder Italien. Man muss sie nur vernünftig aufbauen.