Fortean Times – Die freundlichen Skeptiker
Nichts ist zu schräg, alles eine Meldung wert. Das englische Magazin «Fortean Times» erzählt Absurdes mit trockenem Humor und bissiger Ironie.
Seltsames ist vom Mars zu berichten. Zwei amerikanische Wissenschaftler haben auf dem roten Planeten ein menschliches Antlitz entdeckt. Nachdem sie 65 000 Fotografien des Satelliten Global Surveyor akribisch untersucht hatten, erkannten sie in Felsformationen der Grossen Syrte ein babyhaftes Gesicht. Das ist eine der Behauptungen in der jüngsten Ausgabe der «Fortean Times», des Blattes der surrealen News.
Keine Meldung ist zu absurd, um nicht in den «Fortean Times» zu erscheinen: Sie berichtet von Roboteraffen im indischen Rajasthan. Oder von Babys, die mit Pilzkopffrisuren auf die Welt kommen. Auch jene Bankräuber von Stockport fanden Beachtung, die peinlicherweise den Auskunftsschalter ausrauben wollten und an sie selbst adressierte Briefe liegen liessen. Oder Ufologen aus New Mexico kommen zu Wort, die gestehen, sie hätten sich von fliegenden Baumwollsamen düpieren lassen.
All das gehört zum Stoff der «Fortean Times – The Journal of Strange Phenomena». Im überhitzten Print-Dschungel von Grossbritannien markiert die FT einen Meilenstein des Kontinuierlichen. Seit 28 Jahren gibt es die Zeitschrift, die an jedem grösseren Kiosk aufliegt. Sie erreicht derzeit eine monatliche Auflage von 29 000 Exemplaren. Zu den Abonnenten gehören Jerry Garcia, Kate Bush, David Byrne und der Bischof von Glastonbury. Jetzt wagt die «Fortean Times» die Expansion. In Lizenz erscheint neuerdings eine spanische Version. Im deutschen Sprachraum werden Verlagspartner gesucht.
Magazine mit kuriosem Inhalt sind nicht aussergewöhnlich. Typisch «Fortean Times» und typisch englisch ist hingegen die Tonalität des Blattes. Die Geschichten werden nicht auf sensationell getrimmt. Vielmehr dominieren in den Texten trockener Humor sowie bissige Ironie – angereichert mit zickigen Bildern und Cartoons. Ko-Chefredaktor Paul Sieveking beschreibt die redaktionelle Linie als «freundlich skeptisch».
Dahinter steckt System: «Damit ärgern wir die eingefleischten Skeptiker, die im Grunde nichts anderes sind als fundamentalistische Materialisten», sagt Sieveking. Das ärgert erst recht die Dumpfgläubigen, die sich alles vormachen lassen. Das Publikum besteht grösstenteils aus Informations-Junkies; hinzu kommen interessierte Intellektuelle wie Soziologen, Psychiater oder Ärzte.
Die «Fortean Times» hat seriöse, ja idealistische Wurzeln. Das Konzept beruft sich auf den amerikanischen Exzentriker Charles Hoy Fort (1874 –1932). Dieser hatte sich über die Arroganz der viktorianischen Wissenschaftler echauffiert, die glaubten, «alles» zu wissen. Um sie vom hohen Ross zu holen, publizierte er Berichte von Vorkommnissen, die aller «offiziellen» Logik zuwiderliefen. Nach seinem Tod führten Anhänger den Newsletter weiter. Bei den Beiträgen handelte es sich vornehmlich um Geschichten, welche Leser auf der ganzen Welt aus ihren Lokalzeitungen geschnitten hatten.
Ein solcher «Clipper» war Bob Rickard. Frustriert, weil die amerikanischen Forteaner an seinen Zeitungsausschnitten selten Interesse zeigten, startete er 1973 seine englische Alternative. Einmal wöchentlich traf sich ein munterer Haufen von «Absurditätsforschern» im Sci-Fi-Bücherladen «Dark They Were and Golden Eyed» im Londoner Soho. Man diskutierte die neuesten Einsendungen und lauschte den Storys von Monsterjägern und Loch-Ness-Forschern, die zu Besuch kamen. Sieveking gefielen diese surrealen News sehr: «Sie entsprachen meinem anarchistischen Temperament.»
1990 gaben Rickard und Sieveking ihre Brotjobs auf und lancierten die bis dahin vierteljährlich erschienene Zeitschrift als monatliche Publikation. Heute könnten sie vom Material her, das ihnen zukommt, wöchentlich erscheinen. Die heutige «Fortean Times» sei in gewisser Weise dem Geist von 1968 verbunden. «Unsere Arbeit ist subversiv. Wir offerieren eine Plattform für alles, was nicht in die orthodoxen Medien oder in die offizielle Linie unserer Regierungen und Wissenschaftler passt», sagt Sieveking.
Dabei ist keine Meldung zu absurd, um nicht berücksichtigt zu werden. Man versucht zwar, ihren Wahrheitsgehalt nachzuprüfen – im Zweifelsfall wird aber publiziert. Geübte FT-Leser kennen den Ironiegehalt jeder Geschichte. Sie spüren, für wie wahrscheinlich die Redaktion die Story hält. Unterhaltsam ist die bizarre Lektüre alleweil. Sieveking meint: «Wir kritisieren nie. Wir machen nie lächerlich. Wir stellen nur dar und lassen die Leserschaft ihr eigenes Urteil bilden.» Dennoch schreckt die FT nicht vor kritischen Kommentaren zurück. Besonderes Vergnügen bereite es, die Selbstmythologisierung religiöser Gurus abzuschiessen.
Wenn es die Sache verlangt, kann die FT sogar mit vorbehaltlosem Ernst auftreten. Etwa in der Juli-Ausgabe, wo der Korrespondent in Weissrussland die neuen, «paganistischen» Untergrundorganisationen von Russland beleuchtet, die zum Teil mit Gewalt eine naziverwandte Zukunftsvision für ihr Land anstreben.
In der Welt des Unerklärlichen treten immer wieder Trends auf. So lässt sich beobachten, wie eine Geschichte, die in Guatemala passiert sein soll, fünf Monate später in Burundi erzählt wird. Die Faustregel, die einen «urbanen Mythos» von einer wahren Begebenheit zu unterscheiden hilft: Wenn es eine Pointe hat, handelt es sich um einen Mythos. Wahre Begebenheiten sind nämlich oft unlogisch und enden unspektakulär. Es sind kleine Explosionen des Unerklärlichen im gewöhnlichen Alltag.
Gegenwärtig erstaunt die Häufung von verirrten Krokodilen auf dieser Welt: eines in Wien, eines in Deutschland, eines in Schweden, eines im Central Park, eines in Buffalo, New York. Der liebe Gott, scheint es, spielt wieder einmal verrückt.