Big Players Big Business
Sport ist in den USA die einträglichste Nebensache. Konzerne, Medien und Athleten bilden ein millionenschweres Dream Team.
Als sich John Elway vor einem Jahr den ersten Computer seines Lebens anschaffte, machte er eine überraschende Entdeckung. Er war verblüfft, «wie gross und eindrucksvoll die Möglichkeiten des Internets sind». Es gibt Männer in seinem Alter, die fürchten, in den Wogen des World Wide Web zu ertrinken. Doch der 39-jährige ehemalige Quarterback der Denver Broncos sah im Chaos eine Chance. Er kaufte die Internet-Anschrift www.mvp.com und gewann zwei der berühmtesten Athleten der Welt – den Basketballer Michael Jordan und den Eishockeyspieler Wayne Gretzky – für ein viel versprechendes Projekt.
Die Adresse www.mvp.com wird ab Januar 2000 zum virtuellen Sportgeschäft und soll Millionen von Online-Fans als Anlaufstelle für ihr Verlangen nach Trikots, Kappen, Schuhen und anderen Souvenirs dienen. Das E-Commerce-Unternehmen der drei Sportstars im Ruhestand ist keine Spielerei. Hinter dem geschäftstüchtigen Dream Team stehen Risikokapital-Investoren, die 65 Millionen Dollar investiert haben. Eine auf 85 Millionen geschätzte Allianz mit dem TV-Sender CBS sorgt für den Werbeauftritt.
Die Gründung der Firma, deren Namen den Sportbegriff MVP (Most Valuable Player = wertvollster Spieler) zum Markenartikel macht, beurteilen Kenner des explodierenden Internet-Markts als gelungenen Coup. Denn während andere Online-Gründungen Millionen in klassische Werbung stecken müssen, können Elway, Jordan und Gretzky das Interesse der potenziellen Kundschaft schlichtweg voraussetzen. Die Gründung entlarvt gleichzeitig die Ehrungen, bei denen unter anderem Jordan und Gretzky zu Jahrhundert-Sportlern hochstilisiert wurden, als sentimentale Gestrigkeit. Als Referenz an eine Zeit, die niemand so gut verkörperte wie Jim Thorpe. Der war als Zehnkampf-Olympiasieger 1912 in New York mit einer Konfettiparade empfangen worden, was ihn total verblüffte: «Ich hätte nie gedacht, dass ein einzelner Mensch so viele Freunde haben kann.»
Tatsächlich lässt sich zwischen dem naiven Thorpe – der zum tragischen Fall wurde, als er seine Goldmedaille abgeben musste, weil er als Baseballspieler Geld angenommen hatte – und den abgekochten Multi-Millionären der heutigen Sportwelt eine Verbindungslinie ziehen. Sie reflektiert mehr als den Quantensprung vom idealistischen Spitzensport der Amateur-Epoche zum globalisierten Sportgeschäft. Sie zeigt, auf welche Weise sich amerikanische Athleten und amerikanischer Geschäftssinn über das ausgehende Jahrhundert gestülpt haben.
Denn die USA waren bereits in der ersten Hälfte des Jahrhunderts ein Laboratorium für den Profisport – zuerst im Baseball und Boxen, später im Football und Eishockey. Ende der Zwanzigerjahre verdiente Baseball-Superstar Babe Ruth von den New York Yankees mehr als der Präsident. Und zog sich, als er dazu befragt wurde, mit einem Spruch aus der Affäre, über den das halbe Land lachte: «Na und, ich hatte ein besseres Jahr.»
Die Legende eines Babe Ruth ist nicht per Zufall entstanden. Sie und all die anderen sind ein Produkt des 20. Jahrhunderts mit seiner Kommunikations-Technologie und dem unstillbaren Hunger nach unpolitischen Identifikations-Figuren. Propagiert haben sie die Medien, die es schon früh verstanden, die modernen Gladiatoren, obwohl oft egozentrische und zwangsneurotische Charaktere, zu glorifizieren. So übertrugen Radiosender ab dem Ende der Zwanzigerjahre Baseball- und College-Football-Spiele live. Das Fernsehen zog zehn Jahre später in die Stadien ein.
Von da an wurde das Geflecht des Sport-Entertainment-Komplexes immer engmaschiger. Weil die Wirtschaft die Übertragungsrechte finanzierte, mussten schon früh Werbeunterbrechungen eingeführt und Wettkämpfe mit Ereignischarakter wie die Super Bowl im Football – alljährlich das grösste TV-Spektakel des Landes – ersonnen werden. Das Reservoir an vermarktbaren Sportarten schien unerschöpflich, ob Boxen (mit «Lichtgestalt» Muhammad Ali), Profi-Football (ab den Sechzigern ein Garant für Einschaltquoten) oder NBA-Basketball. Von schwarzen Cracks wie Magic Johnson und Michael Jordan popularisiert und 1992 mit dem Dream Team von Barcelona auf eine weltweite Bühne gehoben, gilt die NBA heute als Vorreiterin bei der Vermarktung ihrer Sportart. Eine Rolle, die sie zuletzt durch die Gründung eigener Läden, Restaurants und eines NBA-Fernsehsenders noch unterstrichen hat.
Aber damit blieb die Entwicklung nicht stehen. Amerikanischer Erfindergeist und Spieltrieb sind dem Rest der Welt noch heute stets einen Schritt voraus. Derzeit produzieren sie bereits die Wettbewerbe des nächsten Jahrtausends – wie die X-Games – und beglücken andere Nationen mit geschickt vermarkteten Innovationen wie Triathlon, Snowboard und Mountainbike sowie ihrem Verständnis für simple Sportdramatik. Markantes Beispiel: das Golden Goal im Fussball, das aus den USA importiert wurde, wo man schon lange den «Sudden Death» in der Verlängerung kennt.
Die sportliche Vorreiterrolle der USA in den Bereichen Geld, Medien und Image ist unter anderem dadurch begründet, dass sich der Profisport reibungslos in den gesellschaftlichen Alltag einfügt. Er liefert Metaphern für die Umgangssprache und Trainingsmodelle für den Unternehmensnachwuchs. Sportstars gelten als Vorbilder, die sich den «American Dream»
erfüllt haben. Universitäten fördern den Nachwuchs und produzieren mitunter Ausnahmeerscheinungen wie den demokratischen Präsidentschafts-Kandidaten Bill Bradley. Der hatte an der Einstein-Universität Princeton studiert, ehe er mit den New York Knicks NBA-Meister wurde und anschliessend in die Politik ging.
Ähnlich elegant schaffte der ehemalige Präsident der angesehenen Universität Yale, A. Bartlett Giamatti, den Spagat. Erst schrieb er in einem klugen Essay den Satz «Der unmittelbare Zweck für die Organisation von Spielen in Amerika, und damit befinden wir uns fest in der modernen Welt, ist kommerziell.» Dann liess er sich zum Baseball-Commissioner küren. Giamattis Feststellung lässt sich auf einen einfachen Nenner bringen: Egal, auf welche Weise Sport und Spiel einst entstanden sind, welche alte kultische Dimension mitschwingt – heute sind sie in den USA Marktwirtschaft pur.
Symbolisch dafür stehen Drahtzieher, die im Sportmarketing Massstäbe gesetzt haben. So etwa Phil Knight, Gründer und Chef des Sportartikelkonzerns Nike. Seine Kampagnen prägten die Charakterzüge von Sportlern wie Michael Jordan und Andre Agassi, und mit cleveren Werbegags wie den goldenen Schuhen von Leichtathletikstar Michael Johnson erzielte er zusätzlich Publizität. Ebenfalls eine entscheidende Rolle spielte Mark McCormack, Gründer der Management-Agentur IMG. Der ehemalige Anwalt hatte das Agentenwesen nicht erfunden, aber perfektioniert und verfeinert, etwa mit der Durchführung eigener Veranstaltungen. Angelockt von den enormen Tantiemen, die Agenten heute einstreichen, befindet sich gerade dieser Bereich in einem strukturellen Wandel. Grosse Unternehmen geben viel Geld aus, um Agenturen aufzukaufen und sich verstärkt um die Ausrichtung der immer teureren Sportanlässe zu kümmern.
Doch nicht nur bei den Agenturen verschieben sich die Nuancen der Kommerzialisierung. Die althergebrachte Profiliga zum Beispiel war ein Zusammenschluss von ambitionierten Unternehmern, die oft eine ideelle Verbindung zum Sport besassen. Heute engagieren sich multinationale Medienkonzerne wie Disney (Besitzer der Anaheim Mighty Ducks) und Rupert Murdochs News Corp. (Los Angeles Dodgers). Sie zahlen Hunderte von Millionen, um Programme einzukaufen und Sportanhänger für ihre übrigen Aktivitäten zu interessieren. Andere wie Paul Allen, mit einem Aktienvermögen von 40 Milliarden Dollar der zweitreichste Mann der Welt, betrachten ihre Anschaffungen (Portland TrailBlazers, Seattle Seahawks) als Investitionen, die sich spätestens beim Verkauf rentieren.
Nur wenige schlagen angesichts der immer unübersichtlicher werdenden Vernetzung von Sport und Kommerz Alarm und klagen über einen «Alptraum aus politischen Kungeleien und InteressenKonflikten» («New York Times»). «Wir haben unsere Sporthelden über alles andere gehoben», stellte der Golfer Hale Irwin vor einiger Zeit missmutig fest. Assistiert wurde er von der «Denver Post», die von Athleten sprach, «die nicht mehr im Schatten unserer Kultur existieren, sondern ihren eigenen werfen». Sei es durch politischen Protest wie einst Muhammad Ali oder als «Katalysatoren für den Sportkommerz und den Konsumismus der Achtziger- und Neunzigerjahre» wie Michael Jordan oder Tiger Woods. Der golfende Jungstar war 1999 mit einem Einkommen von über 100 Millionen Dollar der bestverdienende Sportler der Welt. Allein an Preisgeldern bezog er 1999 mehr als der grosse Jack Nicklaus während seiner ganzen Karriere. Ein weiteres Beispiel ist Mia Hamm. Sie machte nicht nur den Frauenfussball populär, sondern erreicht als Werbeträgerin auch die bislang vernachlässigte Zielgruppe der weiblichen Teenager.
Ein Zurück gibt es nicht. Was bleibt, ist einzig der Trost, dass selbst die einflussreichen Männer vor hundert Jahren nicht wussten, welche Maschinerie sie in Bewegung setzen. Typisch die Aussage von Walter Camp, der das Regelwerk des American Football geprägt hat: «Ein Gentleman verdient seinen Lebensunterhalt nicht mit seinem sportlichen Können. Er verdient nichts durch seine Siege, ausser Ruhm und Zufriedenheit.»