Aus allen Rohren – 5:1-Sieg über Deutschland

Aus allen Rohren - 5:1-Sieg über Deutschland

Der englische Boulevard feiert den 5:1-Sieg über Deutschland mit Kriegsrhetorik.

Eine gescheite Beobachtung gibt es zu vermelden. Der Berliner Korrespondent des «Guardian» konstatierte, dass die «Deutschen nicht so fixiert sind auf den Zweiten Weltkrieg wie die Briten». Aber bei dieser Feststellung blieb es.
Rund um den Fünf-zu-eins-Sieg von England über Deutschland hatten die Kriegsberichterstatter das Sagen. «Ausgeblitzt», schrieb der «Sunday Mirror» in Erinnerung an die Londoner Bombennächte. Und doppelte nach: «Wir haben die Deutschen in Stücke zerrissen.» Der «Sunday Express» notierte süffisant «Our finest hour» in Anlehnung an die Royal Air Force in der «Battle of Britain».

«Mirror» und «Express» sind Boulevardblätter, die davon leben, sich nach den simpleren Instinkten ihrer Leserschaft zu richten. Andere Zeitungen wie der «Sunday Telegraph» standen dem Appell an das Einfache im Gemüt jedoch nicht nach: «Englands Torrausch erschüttert die Weltordnung.» Das Blatt nimmt für sich einen seriösen Journalismus in Anspruch.
Ebenso der liberale «Independent». Das Blatt vergleicht die deutschen Fussballer mit den «Trümmerfrauen» nach der Kapitulation. Zwar ist die Kriegsrhetorik allenthalben aus der Sport-Berichterstattung verschwunden. Doch wenn die Engländer gegen die Deutschen antreten, erscheint sie wieder in den Zeitungsspalten.

Wo so viele Emotionen zum Tragen kommen, ist das Metaphysische nicht weit. Der eingangs zitierte «Guardian» prognostizierte den englischen Kirchen nach dem Sieg eine Renaissance. Diese hätten seit dem Tod von Diana den grössten Zulauf: «Verwirrte Fussball-Fans suchen nach dem tieferen Sinn für diese unerklärliche Wende zum Guten.»
Ein bisschen beten mag helfen, dass das Glück andauert – wenigstens bis zur WM im kommenden Sommer. Und selbst die «Times» dachte an Höheres: «Es ist, als ob ein feindliches Universum uns plötzlich freundlich gesinnt wäre.» Auf das Unerklärliche kommt auch die «Sun» zu sprechen. Das Blatt zitiert einen Wissenschaftler der Warwick University, der den ersten Sieg in Deutschland seit 1965 mit einer «Teufelsaustreibung» vergleicht.

Der Glaube an das Mysteriöse ist ganz im Sinn des englischen Torschützen Steven Gerrard. Er erzählte der Presse nach dem Spiel von seiner Vision nachts zuvor: «Ich lüge nicht, ich träumte, wie ich ein Tor schiessen würde und in die jubelnde Menge stürme.» Ähnlich erging es seinem Teamkollegen Michael Owen, der gar drei Tore schoss. «Michael war immer überzeugt, dass wir gewinnen würden», vertraute Michaels Bruder Andy einem Reporter an.
Derartige Hellseherei im Vorfeld des Spiels hätte den Deutschen manche Peinlichkeit erspart. Die «Süddeutsche Zeitung» zitierte Franz Beckenbauers Zuversicht vor dem Match «Ich bitt’ Sie, was soll da schon passiern?» Beckenbauer sparte nicht mit grossen Tönen und erklärte den Briten die Bedeutung des Spiels deutsch und deutlich: «We call it a Klassiker.»
Der Klassiker ging in die Hosen, und die Erwartungen blieben unerfüllt. «Der Teamchef kann zur Lichtgestalt aufsteigen – und sein Mittelfeldspieler das Weichei-Image ablegen», schrieb die «Stuttgarter Nachrichten» vor dem Match hoffnungsfroh. Zwei Tage später titelte «Bild» «Spiel der Schande» und zitierte Völler: «Meine schlimmste Nacht.»

Die «Sun» schoss den Vogel vor dem Spiel ab. Die Redaktion schickte eine Brassband vor das Hotel der deutschen Nationalelf. Die Spielerinnen, allesamt Seite-3-Girls, sollten die Deutschen frühzeitig wecken. Zwar wachte nur ein Spieler auf, aber die Show war für die Leser perfekt. Zumal die Girls die englischen Fussballer abholen durften.

Ob Michael Owen sich über die weiblichen Reize besonders freute, entzieht sich der Kenntnis. Wahrscheinlich nicht, denn der Mann ist ein Spätzünder. Wie die «Sun» zu berichten weiss, fühlt er sich bei Muttern am besten aufgehoben. Der 20-Jährige zog zwar zu Hause aus, blieb aber in der Nachbarschaft: «Michaels Mama kocht noch immer für ihn, sie macht ihm die Wäsche und erledigt seine Fanpost.»

Unglücklich war in England nur eine einzige Person. Ex-Spice-Girl Victoria Beckham mochte sich über den Sieg ihres Mannes David nicht richtig freuen. Sie veröffentlichte am Tag nach dem Spiel im «Mail on Sunday» Teil eins ihrer Autobiografie. Und wurde nur rudimentär gewürdigt.

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