Auf verlorenem Posten
Die einen fordern totale Liberalisierung, die anderen wollen alles bewahren. Deshalb passiert nichts – und die Post taumelt in die Krise.
Postminister Moritz Leuenberger hat es gut. Wenn er in der Pause der Bundesratssitzung schnell eine Einzahlung erledigen will, kann er dies problemlos ein paar Türen weiter tun, in der Poststelle 3003 Bern 3, am Extra-Schalter für Beamte und Bundesräte im Bundeshaus West.
So bequem hat es Jacqueline Meng, 67-jährige Rentnerin im Genfer Quartier St-Jean, nicht mehr. Ihre Post ist seit dem 1. Januar geschlossen. Dass nur 400 Meter entfernt eine neue, moderne Post im Einkaufszentrum eröffnet wurde, interessiert sie nicht. Zum alten Quartier gehöre die St-Jean-Post, findet sie. Und nicht nur sie. Innert kürzester Zeit ist in Genf aus dem Nichts eine Volksbewegung entstanden.
«Alle sind solidarisch», freut sich Meng, Präsidentin des Komitees gegen die Schliessung der Poststelle St-Jean.
Im Dezember sah sich sogar Bundesrat Moritz Leuenberger zu einem Besuch vor Ort veranlasst. «Touche pas à ma poste!», skandierten die Quartierbewohner. Finger weg von meiner Post.
Dabei ist das erst der Anfang. Die Post will in den nächsten vier Jahren 600 Filialen schliessen.
Wenig Sinn für Protestaktionen zeigt der Spitzenverband der Wirtschaft, der Vorort. Die Liberalisierung müsse weitergehen, fordert Vorort-Direktor Rudolf Ramsauer. «Effizienzsteigerungen und die damit verbundenen betrieb-lichen Anpassungen müssen auch gegen zunehmenden politischen Widerstand durchgezogen werden», schrieb er jüngst in der «Neuen Zürcher Zeitung».
Die Post ist im politischen Clinch. Mehr Staat, rufen die Linken und überlegen sich eine Volksinitiative für die gute alte Post. Mehr Markt, tönt esvon rechts, wo die Post längst privatisiert und an die Börse gehört. Die Ratschläge könnten nicht gegensätzlicher sein. Und als ob das noch nicht genug wäre, schlingert der Gelbe Riese, mit über 41 000 Stellen der zweitgrösste Arbeitgeber des Landes, von einem Debakel ins nächste.
Der Chef, Reto Braun, hat Hals über Kopf ins Internet-Business gewechselt – ein Nachfolger steht nicht bereit. Die künftige Strategie ist undurchsichtig, Flops am Laufmeter bescheren böse Schlagzeilen über verspätete Pakete und geschlossene Schalter. Und jetzt gibts auch noch Tariferhöhungen zur Unzeit.
Die Post ist seit der Aufteilung der PTT am 1. Januar 1998 eine öffentlichrechtliche Anstalt im Besitz der Eidgenossenschaft. Oberster Schirmherr ist der Bundesrat. Doch er ist sich alles andere als einig über die Zukunft der Post.
SP-Postminister Moritz Leuenberger bremst, FDP-Wirtschaftsminister Pascal Couchepin pusht. Bundesrat Leuenberger will die Post nur vorsichtig weiter liberalisieren und hält von Privatisierung gar nichts. Bundesrat Couchepin hingegen macht kein Hehl aus seiner Idee, das Postmonopol einzuschränken und insbesondere den lukrativen Zahlungsverkehr Postfinance an die Börse zu bringen.
Das Resultat: Nichts passiert.
Das will der Luzerner FDP-Nationalrat Georges Theiler, Mitglied der Verkehrs- und Fernmeldekommission, ändern – und er weiss dabei die Mehrheit seiner Fraktion hinter sich. Drei Schritte sind für ihn in nächster Zeit fällig:
Der rentable Bereich Postfinance muss verselbstständigt werden.
Die Monopolgrenze für Briefe und Pakete ist von zwei Kilogramm auf höchstens 350 Gramm zu senken.
Die flächendeckende Grundversorgung, der so genannte Service public, ist von der Politik genau zu definieren und dann öffentlich auszuschreiben. «Das muss nicht die Post sein», sagt Theiler.
Das Gegenteil fordern Westschweizer Linke. Die Genfer Bewegung Mouvement Solidarité will «am liebsten sofort» eine Volksinitiative lancieren, bekräftigt ihr Sprecher Pierre Vanek. In der Bun-desverfassung soll künftig stehen:
Das Brief- und Paketmonopol bleibt bei zwei Kilogramm und ist der Post vorbehalten.
Keine einzige Poststelle darf geschlossen werden. Ausser, wenn die betroffene Lokalbevölkerung und die Kantonsregierung zustimmen.
Die Post muss ihren Geschäftsbericht, wie es bis 1997 vorgeschrieben war, jedes Jahr dem eidgenössischen Parlament zur Genehmigung vorlegen.
Zurzeit sucht die Genfer Links-Allianz Verbündete für die Lancierung ihres Volksbegehrens. Die Sozialdemokratische Partei wartet ab, ob sie eine solche Initiative mittragen würde. Aber an ihrer Fraktionssitzung vom 29. Januar machte die SP klar, dass sie die Post stärker an die Politik binden will.
Mit zwei parlamentarischen Initiativen im Nationalrat hat sie das Terrain abgesteckt:
Die Bundesbetriebe Post, SBB und Swisscom müssen Arbeitsplätze «flächendeckend in der ganzen Schweiz anbieten», Stellenabbau dürfe «nicht einseitig in den Rand- und Berggebieten erfolgen», und neue Arbeits- und Aus-bildungsplätze seien auch ausserhalb
der Zentren anzubieten. Der Nationalrat stimmte diesem Vorstoss von Andrea Hämmerle (SP GR) am 27. September 1999 zu; jetzt erarbeitet eine Parlamentskommission einen Gesetzesvorschlag. Beim Vorort reagiert man entsetzt: «Das ist der Rückfall in die Planwirtschaft.»
Ein Teil der Gewinne von Post, Swisscom und SBB soll in einem nationalen Kohäsionsfonds geäufnet werden. Die Mittel würden für die Aufrechterhaltung des Service public, insbesondere in Randregionen, verwendet. Mit diesem Vorstoss nahm der Berner SP-Nationalrat Alexander Tschäppät eine Idee von Bundesrat Moritz Leuenberger auf.
«Es ist in jeder Firma normal, dass der Eigner sagt, wos langgeht», begründet SP-Nationalrat und Preisüberwacher Werner Marti die sozialdemokratischen Vorstösse. «Wir sind gegen eine weitere Liberalisierung.» Das haben die Genossen am 29. Januar an der Fraktionssitzung in Yverdon auch ihrem Bundesrat Leuenberger klar gemacht. Die Post könne jetzt zeigen, dass sie im Monopol ihren Auftrag günstig und gut ausführen könne.
Dieser Auftrag ist allerdings unklar.
In seinen «Strategischen Zielen für die Post 1998–2001» äussert sich der Bundesrat wenig konkret. Die Post soll den Universaldienst – die «landesweite Grundversorgung mit Post- und Zahlungsverkehr-Dienstleistungen» – sicherstellen, und zwar für alle Benutzer in gleicher Qualität. Zudem verlangt der Bundesrat von der Post, dass sie «wettbewerbsfähig, kundenorientiert und eigenwirtschaftlich» arbeitet.
Post-Verwaltungsrats-Präsident Gerhard Fischer weiss, was das heisst: «Der Bund gibt uns keinen Franken mehr.»
Dabei reisst allein das weltweit dichteste Poststellennetz mit mehr als 3600 Filialen ein Loch von einer halben Milliarde Franken in die Postrechnung. In vier Jahren, so sieht es das eben vom Verwaltungsrat bestätigte Projekt Optima vor, sollen es 3000 Poststellen sein. Welche 600 gestrichen werden, ist noch unklar.
Sicher nicht betroffen ist die Post im Zürcher Hauptbahnhof, an einem der meistfrequentierten Orte der Schweiz. Dort wird im Sommer endlich die stets überfüllte Schalterhalle erweitert, und die Öffnungszeiten werden «Richtung 24-Stunden-Betrieb» ausgedehnt. Bisher galten die verlängerten Schalterzeiten nur bei der 300 Meter entfernten Sihlpost, abseits des Passantenstroms.
Rote Zahlen verursacht auch die Paketpost, rund 200 Millionen Franken beträgt das jährliche Defizit. Dazu hat die unter dem Namen «Päcklichaos» bekannt gewordene Automatisierung der Paketpost unerwartete Mehrkosten von 80 bis 100 Millionen Franken verursacht.
Erfreulicher läuft der Finanzbereich. Postfinance soll in den nächsten Jahren entgegen früheren Beteuerungen zur Postbank ausgebaut werden. Die Gewinne sollen steigen, unter anderem mit dem Einstieg in den Aktienhandel. Der Protest der Banken ist programmiert.
Grosse Hoffnungen setzt die Post auf den elektronischen Handel E-Commerce. Dort locke bis zum Jahr 2002 ein Riesenmarkt von rund fünf Milliarden Franken, schätzt die Postspitze. Gewinne sind in Sicht, aber erst später.
Kurzfristig setzt die Post deshalb auf Tariferhöhungen. Brief- und Paketpost sollen per 1. Juli aufschlagen, beantragt die Post dem Departement Leuenberger. «Ich war der grösste Gegner solcher Aufschläge», outet sich sogar Post-Verwaltungsrats-Präsident Gerhard Fischer als Skeptiker. Aber er habe sich postintern überzeugen lassen. «Irgendwo müssen wir ja das Geld herholen.»
Das sehen die Politiker ganz anders. «Völlig unhaltbar», kommentiert FDP-Nationalrat Georges Theiler. «Nicht akzeptabel», sagt Simonetta Sommaruga, Geschäftsführerin der Stiftung für Konsumentenschutz (SKS). «Ungerechtfertigt und viel zu kurzfristig», bemängelt Vorort-Sprecher Pascal Gentinetta.
In der Kritik steht vor allem die Erhöhung der Brieftaxen. «Es besteht
der Verdacht der Querfinanzierung», sagt FDP-Nationalrat Georges Theiler. Dies widerspreche dem Postgesetz von 1998. «Wettbewerbsdienste dürfen nicht mit Erträgen aus den Universaldiensten verbilligt werden», heisst es in Artikel 9. Genau diesem Verdacht hat sich aber Verwaltungsratspräsident Gerhard Fischer ausgesetzt, als er in der «SonntagsZeitung» einräumte, die Briefpost arbeite im Gegensatz zur Paketpost profitabel.
«Zuerst soll die Post Transparenz bei ihren Kosten schaffen», fordert CVP-Nationalrat Hansueli Raggenbass. Dazu sei sie nicht in der Lage, höhnt FDP-Kollege Theiler. Dabei wäre sie gesetzlich dazu verpflichtet. «Das Rechnungswesen ist so auszugestalten», heisst es im Postgesetz, «dass Kosten und Erträge der einzelnen Dienstleistungen ausgewiesen werden können.» Die Post verweist darauf, die Zahlen seien dem Departement Leuenberger bekannt «und können nicht veröffentlicht werden».
Der Bundesrat fördert die Verwirrung um Quersubventionen selber. Muss die Post jetzt im monopolgeschützten Bereich «kostendeckend» arbeiten, wie es im Postgesetz heisst, oder «mindestens kostendeckend», wie in der Bundesrats-Strategie formuliert?
«Das Postgesetz ist ohnehin bald überholt», sagt der Sankt-Galler Hochschulprofessor und frühere SP-Nationalrat Hans Schmid. Er war massgeblich an der Erarbeitung des erst seit 1998 gültigen Gesetzes beteiligt. Die Schweiz könne sich dem Liberalisierungsdruck der EU nicht entziehen, meint Schmid. Davon ist auch die Wirtschaft überzeugt. «Der Bundesrat wäre gut beraten, weitere Liberalisierungsschritte einzuleiten», sagt Vorort-Sprecher Pascal Gentinetta. «Die Wirtschaft will eine starke Post, die im Wettbewerb bestehen kann.» Professor Schmid, 65, hofft, «dass ich das noch erleben darf». Er will den Postmarkt öffnen und verweist auf Schweden, dessen Entwicklung er eingehend studiert hat.
Schweden hat als erstes Land den Postdienst komplett liberalisiert und 1993 das Briefmonopol aufgehoben. Sieben Jahre später zieht die Regulationsbehörde ein positives Fazit. Die Anzahl der Poststellen halbierte sich zwar auf rund 1000. Doch dazu kamen 900 Postschalter in Läden. «Der Service in diesen Läden ist für Postkunden meistens höher als in traditionellen ländlichen Poststellen und ist erst noch mit viel längeren Öffnungszeiten verbunden», bilanziert die schwedische Aufsichtsbehörde Post &Telestyrelsen.
Der Postschalter im Lebensmittelladen – könnte das für die Genfer Rentnerin Jacqueline Meng eine Lösung sein? «Vielleicht», sagt sie. Aber vorerst will sie für ihre St-Jean-Post weiter kämpfen. «So leicht gebe ich nicht auf.»