Alptraum im Heidiland
Die Tourismusregion Heidiland lebt vom Image der heilen Naturidylle. Ausgerechnet hier ist das Sterberisiko so hoch wie nirgends sonst.
Gesund und natürlich. So präsentiert sich die Tourismusregion Heidiland in Werbeprospekten. Die Rad- und Wanderwege rund um den Walensee locken in die unberührte Natur, die Wintersportgebiete in Flumserberg und Wangs-Pizol laden zum gemütlichen Skiplausch, und in den Thermalbädern von Bad Ragaz SG lässt sich trefflich die müde Seele pflegen.
Doch das Image von der heilen Naturidylle, weltweit bekannt gemacht durch die Heidiromane der Schriftstellerin Johanna Spyri, bekommt Risse.
Am Mythos rüttelt der bekannte Zürcher Sozial- und Präventivmediziner Felix Gutzwiller. In einer Studie kommt er zum Schluss: In keiner anderen Gegend der deutschen Schweiz sterben die Menschen so früh wie im Heidiland und dem angrenzenden Sankt-Galler Rheintal. Punkto Sterblichkeit, so das beunruhigende Fazit des Professors, ist das Heidiland eine «Hochrisikozone». Und der Grund dafür? «Ein Rätsel», sagt Gutzwiller.
Das hohe Sterberisiko im Heidiland widerspricht dem landesweiten Trend im Voralpengebiet. Dort ist die Sterblichkeitsrate in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen. Beispielsweise in der Zentralschweiz und im verkehrsgeplagten Urnerland.
Der wenig schmeichelhafte Spitzenwert hat jetzt auch die Politiker und Amtsstellen auf den Plan gerufen. Der Regierungsrat des Kantons Sankt Gallen äussert darüber in seiner Interpellationsantwort von letzter Woche seine Besorgnis. Und von einer «ernst zu nehmenden Angelegenheit» spricht Kantonsarzt Felix Jungi.
Die Zahlen sind deutlich: Im Heidiland liegt das Sterberisiko bei den Männern 12 Prozent über dem Landesdurchschnitt, bei den Frauen sogar rund 25 Prozent. Das heisst: Die Bewohner des Heidilandes sterben im Durchschnitt zwei bis drei Jahre früher als ihre Mitbürger in den anderen Landesteilen.
Ähnlich hohe Sterblichkeitsraten gibt es sonst nur in einigen Gegenden der Romandie, etwa im Französisch sprechenden Teil des Kantons Freiburg oder im Unterwallis. Doch dort ist der Grund für das – statistisch gesehen – frühe Ableben längst bekannt: Übermässiger Alkoholkonsum, heisst es in Gutzwillers Studie.
Anders im Heidiland. Aus den Todesursachen lässt sich, verglichen mit der Restschweiz, nichts Auffälliges ersehen. «Im Vordergrund stehen Herz- und Kreislaufversagen», sagt Matthias Bopp, Mitverfasser der Studie Gutzwiller. Mit einer entscheidenden Einschränkung allerdings. Diese Krankheiten würden im Heidiland «häufiger als gewöhnlich auftreten», sagt Bopp.
Was das Phänomen nur noch rätselhafter macht. Die Bewohner des Heidilandes sind weder übermässig gestresst, noch fallen sie durch Fettleibigkeit und Bewegungsmangel auf. Ursachen, die Herz-Kreislauf-Krankheiten gewöhnlich begünstigen.
«Im Gegenteil», sagt Thomas Schwizer, Redaktionsleiter des «Sarganserländers». «Wir treiben viel Sport.» Der Turnverein Mels zum Beispiel ist sogar mehrfacher Schweizer Meister.