DJ Tatana – Bescheidener Superstar

DJ Tatana

In der hiesigen Szene ist sie bekannt. In Peru wird sie gefeiert wie eine Offenbarung. DJ Tatana selbst bleibt das «Getue» um ihre Person ein Rätsel.

«Tatana, te amo», kreischt ein Mädchen und rüttelt an der Abschrankung. Ein bulliger Security-Mann weist sie zurecht. Die Menge drängt zur Bühne, wo der Star des Abends, DJ Tatana aus der Schweiz, hinter dem Mischpult steht und dem peruanischen Publikum zuwinkt. Es ist Mitternacht, Tatana lächelt, setzt die Nadel an und beginnt ihr dreistündiges Set. Tosender Applaus.
Tatana ist zusammen mit drei weiteren DJs aus der Schweiz – EDX, Energy und Jaro – für ein Wochenende nach Lima geflogen. Weil sie für die erste peruanische Street Parade Party gebucht worden ist. Die Tschechin Tatjana Sterba, 25, ist zu Hause in der Schweiz zwar eine bekannte Techno-DJane, doch hier in Peru wird sie wie ein Superstar gefeiert. «Es kommen auch andere Top-DJs nach Lima», sagt Arturo Ruiz, «aber die Massen derart bewegen, das kann nur Tatana.» Ruiz, 25, Organisator der Street Parade Party, hat Tatana bereits zum dritten Mal gebucht, weitere Events sind geplant.
Techno ist in Peru relativ neu. Erst vor knapp zwei Jahren fanden die ersten Raves statt – entsprechend gross ist noch die Begeisterung. «Die Szene hier ist frisch, unverbraucht und vor allem positiv», sagt der Zürcher Partyveranstalter Arnold Meyer, der ebenfalls nach Lima mitgekommen ist. Der Enthusiasmus, die Faszination, die Lust auf Neues – alles erinnert an die Stimmung, die in der Schweiz Anfang der Neunzigerjahre herrschte, als hier die Techno-Bewegung ihren Anfang nahm. DJ Energy ist von der brodelnden Stimmung ebenfalls überwältigt: «Das ist wie eine Reise mit der Zeitmaschine – da läuft es dir kalt den Rücken runter.»
Wie bei uns hat sich Techno in Peru schnell von einer Underground-Bewegung zu einem bedeutenden Trend gewandelt. Bei Tatanas erstem Auftritt im Januar im Klub «La Huaka» kamen etwa 1400 Raver, dieses Mal, acht Monate später, sind es mehr als doppelt so viele. Rund 3200 Leute füllen an diesem Samstagabend Ende September das grosse Zelt auf dem Areal der Pferderennbahn. Die Party ist ausverkauft – und das bei einem Preis von 18 beziehungsweise 30 Dollar für ein VIP-Ticket. Techno ist hier ganz klar eine Bewegung der Jugendlichen des gehobenen Mittelstandes, der «Niños bien» – der guten Kinder, wie sie die Presse bezeichnet.
Ein «Niño bien» ist auch der sechzehnjährige Elias del Solar. Im März war er bereits an einem, wie sie hier sagen, Tatana-Konzert: «Me gusta el rave y me gusta Tatana.» Um den Hals trägt Elias einen Plastik-Schnuller. In den Händen hält er fluoreszierende Plastikstäbchen, die er pausenlos auf und ab bewegt. «Tatana schafft eine ganz spezielle Atmosphäre, ihre Musik ist voller Emotionen», sagt er, ohne den Blick von der Bühne abzuwenden, und bewegt dabei seinen Kopf im Takt. Er sei vor allem hier, um «die guten Vibes zu spüren».
Walter hat sogar eigens wegen Tatana ein bisschen Deutsch gelernt. Eine Halskette für sie hat er auch dabei, die will er ihr später, wenn sie mit ihrem Set fertig ist, übergeben. Walter hat keinen Auftritt von Tatana verpasst, jedesmal war er dabei, und jedesmal ist es ihm gelungen, ein paar persönliche Worte mit seinem Idol zu tauschen. Tatana erinnert sich an Walter, schon auf dem Hinflug hat sie von ihm erzählt. So wundert sie sich auch nicht, ihn wieder zu sehen, allerdings ist sie erstaunt, wie gut sein Deutsch geworden ist. «Wahnsinn. Dass ein Fan nur meinetwegen Deutsch lernt, ist unglaublich.»
Tatana freut sich, doch ist es ihr gleichzeitig ein bisschen peinlich, wie ihr überhaupt das ganze «Getue» um ihre Person ein Rätsel ist. Denn trotz ihres Erfolges ist Tatana am Boden geblieben, hat keine Starallüren. Fast keine: Für ihren Auftritt hat sie rosa Licht bestellt, in Anlehnung an ihr neues Album «Pink Punk». Das wars aber schon. «Tatana ist bescheiden, und darum ist sie so beliebt bei ihren Fans», sagt Arnold Meyer. «Sie ist ein Teil des Publikums, sie legt nicht nur auf – sie nimmt an der Party teil.»
Berühmt wurde Tatana in Peru dank eines Touristen aus Lima, der die von ihr gemixte «Street Parade live 1998» als Schweiz-Souvenir kaufte. Wenige Wochen später brachte er die ersten Raubkopien in Umlauf, welche die Techno-Fans begeistert weiterkopierten. «In Lima ist ein richtiges Tatana-Fieber ausgebrochen», sagt Arturo Ruiz, «viele Leute bedanken sich jetzt bei mir, dass ich Tatana gebucht habe.»
Sogar auf der Strasse im Zentrum der Sieben-Millionen-Stadt Lima wird Tatana erkannt. Die Leute sprechen sie an, wollen Autogramme. Als ihr die Autogrammkarten ausgehen, halten sie ihr ihre T-Shirts oder Hemden entgegen. Eine Glacéverkäuferin lässt sich gar ihre Kühltasche signieren.
Logisch, dass sich die peruanischen Medien für die Frau aus der Schweiz mit dem eigenartigen Beruf interessieren. So findet einen Tag nach Tatanas Ankunft, am Freitag, auf der Terrasse des Hotels «Sonesta» eine für Tatana organisierte Pressekonferenz statt, und am Abend ist sie Special Guest des Fernsehstars Carlos Cacho in seiner Show «Mil Disculpas» auf Canal A.
An der Pressekonferenz kommen dieselben kritischen Fragen wie in der Schweiz zu Beginn der Techno-Bewegung. Die Journalisten wollen verstehen, was die Kids dazu bewegt, eine ganze Nacht lang «zu den gleichen stampfenden und monotonen Klängen» durchzutanzen. Ist diese Musik schädlich für die Jugend? Wie lange wird Techno bestehen? Und dann, immer wieder, die Frage nach der Techno-Droge Ecstasy. «Die Leute denken, zu Techno gehöre automatisch Ecstasy», antwortet Tatana der Journalistin der Tageszeitung «La República», «dabei vergessen sie, dass sehr viele Raver kein Ecstasy nehmen – für eine gute Party braucht es keine Drogen.» Die Journalistin nickt aufmerksam, fast schon erleichtert. Ihren Artikel wird sie – wie sich einige Tage später lesen lässt – mit «DJ Tatana sagt Nein zu Drogen» betiteln. Erleichtert ist auch Ruiz, der sich der Problematik von Ecstasy bewusst ist: «Die Teenies lieben Tatana, für viele ist sie ein Vorbild. Wenn sie sich klar dagegen äussert, bringt das weit mehr als die herkömmliche Drogenprävention.»
Überhaupt ist es in einer Stadt wie Lima, wo Kokain praktisch wie Alkohol konsumiert wird – das Gramm kostet 3 Dollar, bis zu 50 Gramm darf man straffrei auf sich tragen – schwierig, jemanden von der Gefahr des Ecstasy-Konsums zu überzeugen. Viele der peruanischen Kids geniessen den Rave denn auch lieber mit Pillen als ohne, oft mit dramatischen Folgen: Während an der Street Parade Party mittlerweile DJ Energy an der Reihe ist, bricht an einer anderen Party im nahe gelegenen «Jockey Plaza» die 22-jährige Lissa Mariela zusammen – wenig später stirbt sie in der Montefiori-Klinik an den Folgen einer Überdosis Ecstasy. Sie ist Perus erste Techno-Tote.
Mit dem Auflegen begann Tatana vor sieben Jahren. Mittlerweile hat sie in der Schweiz rund 20 Auftritte im Monat und gilt in der hiesigen Techno-Szene als erfolgreichste She-DJ. Die von ihr gemixte CD «Energy Compilation 2001» verkaufte sich innerhalb von wenigen Wochen über 60’000-mal – ab 40’000 Stück gibt es in der Schweiz den Platin Award. Beim Privatradio 105 hat sie ihre eigene Sendung, und in ihrer Freizeit – in der wenigen, die ihr bleibt – betreibt sie ihr eigenes Plattenlabel, Sirup Records. Tatjana Sterba ist eine ehrgeizige Frau. Eine Perfektionistin, die ihren Beruf sehr ernst nimmt.
Doch der Erfolg hat auch seine Schattenseiten. «Manchmal frage ich mich, wofür ich den ganzen Stress auf mich nehme.» Der überfüllte Terminkalender, die vielen Auftritte, die knappe Zeit für Privates. An den Wochenenden legt sie an mehreren Orten auf, wie etwa am Samstag, eine Woche nach ihrem Lima-Gig: KV-Fäscht in Zürich um 22 Uhr, um 1.30 Uhr ihre offizielle Geburtstags-Party im Klub «Utopia» in Basel und zuletzt um 4 Uhr morgens ein Set im «Joy» in Sursee.
Tatana sieht in letzter Zeit müde aus, abgekämpft. Seit einigen Monaten hat sie Probleme mit ihrer Haut, ist anfällig geworden auf Allergien – die jahrelange Nachtarbeit zeichnet sie allmählich. Die nächsten Ferien stehen erst im Januar an, dafür gönnt sie sich dann gleich vier Wochen Auszeit. Ruhiger wird das Jahr 2002 allerdings auch nicht, bereits jetzt sind 120 Bookings bestätigt. «Ich sage mir immer wieder, jetzt musst du ein bisschen bremsen – wenn ich aber auflege, ist die ganze Müdigkeit verflogen, der Stress vergessen», sagt Tatana. So blüht sie auch an der Street Parade Party in Lima auf, verteilt nach ihrem Auftritt Autogrammkarten, schüttelt Hände, lächelt, feiert weiter bis sieben Uhr morgens, und auf die von ihren Fans ewig gestellte Frage «You come back to Lima?» nickt sie jedesmal zustimmend. Klar komme sie wieder. Versprochen. Bald. Von einer Südamerika-Tournee sei gar schon die Rede. Aber das bedeutet ja noch mehr Stress und noch weniger Zeit. «Das ist mir schon klar.» Anderseits könne sie, wenn Fans ihr kleine Zettel mit «Thank you for coming to Lima» in die Hand drücken, einfach nicht Nein sagen. Das Gefühl, den Leuten einen unvergesslichen Abend geboten zu haben, sei stärker. «Das macht fast süchtig.»

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