Defilees vor gelichteten Reihen
Die Folgen des Terrors spürt auch die Modeindustrie: Wichtige Shows finden zwar statt – doch viele junge Designer stehen vor dem Aus.
Die Sonne gibt ihr Bestes, und gut gelaunte junge Herren brausen mit ihren Cabrios durch die Kings Road. Von Trauer keine Spur. Gleich um die Ecke beim Sloane Square blinzelt ein bleicher junger Mann mit geröteten Augen in den Zuschauerraum. Glück gehabt. Nur einige wenige Plätze bleiben leer. Rund 300 Fachleute aus der Modewelt wollen die neuste Kollektion des Schweizer Designers Daniel Herman, 29, sehen. «Branded Beauties» heisst sie und hat den sinnigen Untertitel «Am Strand, bevor die Sonne aufgeht».
Langbeinige Elfen zeigen schlichte Oberteile, die aussehen wie ein umgeschlungenes blütenweisses Badetuch, führen zarte Gewebe in Schwarz und Weiss vor, die einen kräftigen Wellengang kaum überstehen würden. Spitzen, gegossen aus Latex und zugeschnitten mit dem Laser, sind die Spezialität von Herman. Am Schluss gibts einen kräftigen Applaus der Fachleute, ein schüchternes Lächeln vom Designer und einen Schweizer Textilverband, der um 80 000 Franken ärmer ist.
So viel hat die knapp zwanzigminütige professionelle Show an der Londoner Fashion Week gekostet. Seit letztem Jahr darf der Gewinner des Schweizer Modeevents Gwand an der Fashion Week teilnehmen. Herman, die Gwand-Macher und der Textilverband haben grosses Glück gehabt, dass die London Fashion Week nicht wie so viele andere Veranstaltungen infolge der Ereignisse in New York abgesagt wurde. Trotzdem reichen die langen Schatten Amerikas bis weit über den Atlantik. Die Modejournalisten und Einkäufer von dort fehlen. Susanna Vock, Mitorganisatorin der Gwand, ist besorgt. «Jetzt ist unser Pressebüro gefordert», sagt sie düster, «wenn die Modeleute nicht herkommen, müssen wir ihnen halt Unterlagen schicken, und dann heisst es pickeln, pickeln und nochmals pickeln.»
Doch Mitleid hat sie weder mit sich noch mit ihrem Team, sondern mit jenen jungen Designern aus New York, die irgendwie Geld für eine Show zusammengekratzt haben und nun vor dem endgültigen Aus stehen. Der sofortige Abbruch der dortigen Fashion Week bedeute für die meisten Kleinlabels auch das wirtschaftliche Ende.
In London sagten nur einige der grossen Labels ihre Shows in letzter Minute ab. Paul Smith und Burberry etwa. Wohl nicht nur aus Mitgefühl, sondern weil ein Teil ihrer Kollektionen sowie Models und Stylisten nicht rechtzeitig nach England geflogen werden konnten.
Glück hatten auch die armen Modeschlucker Italiens. Die Jungdesigner konnten Anfang dieser Woche ihre neusten Kreationen in Mailand zeigen. Zwar mussten sie ihre Shows vor gelichteten Publikumsreihen über die Bühne bringen – auch hier fehlten die Amerikaner -, aber im Gegensatz zu den kleinen traf es die grossen Labels diesmal härter. Am schlimmsten bisher Prada. Der Konzern, zu dem die Marken Jil Sander, Helmut Lang, Byblos und Fendi gehören, musste wegen der Anschläge die geplante Börsenplatzierung bis auf weiteres verschieben. Laut Konzernchef Patrizio Bertelli werden nun sogar die Preise für die Sommerkollektionen dieser Edelmarken um zehn bis zwanzig Prozent gesenkt, um den Verlust mit der Menge der verkauften Stücke wenigstens etwas zu kompensieren.
Dies wird die Konkurrenz unter Druck setzen. Zum Beispiel jene in Paris. Zwar werden ab 5. Oktober die Prêt-à-porter-Wochen durchgeführt. Doch New York trifft auch sie ins Mark. Die Luxusgruppe LVMH (Louis Vuitton, Céline, Christian Dior, Givenchy, Christian Lacroix, Loewe, Kenzo) hat bereits 12 Prozent an der Börse verloren. Die Zeichen stehen weiter auf Sturm: LVMH macht 41 Prozent seines Umsatzes in Amerika.
Als weitere Auswirkungen der New-Yorker Ereignisse wurden die Sicherheitsmassnahmen bei allen Defilees massiv verstärkt. Selbst beim unbekannten Schweizer Daniel Herman standen in London bullige Bodyguards in Anzug und Krawatte am Eingang Spalier. Erst recht eindrücklich sind die Kontrollen in Paris: Die Modehäuser weisen auf den Einladungen ausdrücklich darauf hin, es sei unbedingt ein Ausweis mitzubringen. Die Identitätskontrollen werden diese Saison verschärft, wie in der Vergangenheit bereits 1991 während des Golfkriegs und 1995, als eine Welle von Attentaten Paris überzog.
An der Seine denkt man praktisch. Man gedenkt nicht nur im Geiste der Opfer von New York, man bietet den Überlebenden auch aktive Unterstützung. Didier Grumbach, Präsident der Fédération Français de la Couture: «Wir haben beschlossen, den US-Designern, die ihre Kollektionen nicht präsentieren konnten, auf dem offiziellen Kalender einen Platz einzuräumen.»
Abgesagt hat in Paris bisher einzig Cerruti. Offiziell aus Solidarität mit den Opfern. Doch Trauer um die Getöteten ist eine Sache. Eine andere ist es, den Menschen in New York zu helfen. Denn Mode ist nicht nur einfach ein schöner, aber an sich überflüssiger Schnickschnack; die Modeindustrie ist ein enorm wichtiger Wirtschaftszweig. Alleine in England ist sie laut «Tages-Anzeiger» vom 22. September der sechstgrösste Arbeitgeber mit 270 000 Angestellten. Und auch in der Schweiz hängen Tausende von Arbeitsplätzen von den Modespektakeln dieser Welt ab.
Allein der Schweizer Textilverband vertritt 430 Textilbetriebe, bei denen 26 200 Angestellte ihren Lebensunterhalt verdienen. Von der Mode leben Spinnereien und Webereien, Stoffhändler und -exporteure, Stickerei- und Bekleidungsgeschäfte. Dieser Industriezweig setzte im Jahr 2000 4,3 Milliarden Franken um. Nur ein Bruchteil davon wurde im Inland erwirtschaftet. Der Export der Schweizer Textilindustrie betrug letztes Jahr stolze 3,75 Milliarden Franken. Das meiste ging in Länder wie Grossbritannien, Italien, Deutschland, Frankreich – und natürlich die USA.
Präsenz der Schweiz im Ausland ist darum enorm wichtig. Nicht nur, weil alle grossen Designer Schweizer Textilprodukte verarbeiten. Auch der Stellenwert der Schweizer Mode soll erhöht werden. Darin begründet sich das Engagement des Schweizer Textilverbands für Erfolg versprechende einheimische Modeschaffende. Satte 250 000 Franken investierte der Verband bisher in Daniel Herman.
Präsenz markieren hat für Susanna Vock Priorität. Sie knüpfte die nötigen Kontakte, die eine Schweizer Teilnahme an der London Fashion Week ermöglichten: «Wir haben jetzt einen Fuss drin und werden wahrgenommen», sagt sie. Die Schweiz hat keine Tradition im Modedesign. Aber der Grundstein ist gelegt, dass dies in ein paar Jahren anders aussehen könnte. «Denn», so Vock, «wir wurden trotz der bedrückenden Begleitumstände herzlich empfangen, sehr gut unterstützt und vor allem: Man spricht hier inzwischen mit grosser Ernsthaftigkeit über die Schweiz als Modeland.»
Mitarbeit: Annemarie Mahler, Michaela Nmuth, Tanja Ursoleo