Golden Boys des Internets
In der Wachstumsbranche von 1999 sind sie die Besten: Die Technology Group der Credit Suisse First Boston scheffelt Millionen.
Auch an diesem Tag stapelt sich die schmutzige Wäsche im Untergeschoss turmhoch. Wild übereinander geworfen, liegen verschwitzte Hemden und T-Shirts in einem grossen Behälter.
Die Mitarbeiter der Credit Suisse First Boston (CSFB) im kalifornischen Palo Alto haben einen ihrer schweisstreibenden Arbeitstage hinter sich. Seit Monaten arbeiten die Banker 15 Stunden pro Tag. Weil sie oft nur zum kurzen Schlafen heimkehren, gibts einen Waschservice im CSFB-Haus. Über Nacht werden die Kleider gewaschen und gebügelt.
In Palo Alto, im Zentrum von Silicon Valley, ist die Technology Group der Schweizer Grossbank stationiert. Das zweistöckige Backsteingebäude an der Hanover Street 2400 ist das Nervenzentrum einer Industrie, die wie keine andere die Wirtschaft des Jahres 1999 geprägt hat. Hier in Kalifornien orchestriert CS-Mann Frank Quattrone mit 200 Mitarbeitern das weltweite Business der Internet-Neugründungen.
Kein anderer Bereich hat in diesem Jahr vergleichbar hohe Wachstumsraten vorzuweisen. Die Investitionen ins Internet haben sich in den vergangenen Monaten auf 200 Milliarden Dollar mehr als verdoppelt. Der Nasdaq-Index, der den Kursverlauf der Technologie-Aktien anzeigt, steht zu Jahresende bei einem Plus von 80 Prozent. Nur einmal in der Geschichte gab es bisher einen vergleichbaren Boom eines wichtigen Aktien- indexes: 1915, als der Dow Jones um 82 Prozent zunahm.
Das Phänomen ist nicht auf die USA beschränkt, auch in Europa explodierte das Geschäft. Der Index am Neuen Markt in Frankfurt stieg um 70 Prozent. Wer in der Firmenwelt den Hauch von .com verströmt, hat in den letzten zwölf Monaten zu den Siegern gehört. Und Quattrones Team war meist dabei.
Für den gigantischen Sog sorgt die schnelle Versorgung des Business mit Kapital. Quattrone und seine Leute – Durchschnittsalter 28 – sind die Banker der Internet- und Technologie-Freaks. Sie haben den Megatrend des abgelaufenen Jahres vorangetrieben und geprägt.
Sie sind die Financiers der jungen Gründer von Web-Firmen, die – in Jeans und Turnschuhen – oft vor dem dreis-sigsten Lebensjahr Multimillionäre sind.
Die CSFB ist die Nummer eins im Markt: 53 Internet- und Technologiefirmen hat die Quattrone-Truppe im abgelaufenen Jahr an die Börse gebracht und 5,6 Milliarden Dollar an Kapital beschafft – neuer Treibstoff für das explodierende Geschäft im Netz.
Als Frank Quattrone im Sommer 1998 von der Deutschen Bank zur CS wechselte, machte das international Schlagzeilen. Die Schweizer sollen ihm für einen Dreijahresvertrag die Rekordsumme von 225 Millionen Dollar auf den Tisch gelegt haben – pro Minute seiner Arbeitszeit 500 Dollar. Da könne die CS ja nur hoffen, dass Quattrone eine gute Blase habe, wurde in der Branche gewitzelt. Wenn der 43-Jährige fünf Minuten auf der Toilette verbringt, kostet das den Arbeitgeber 2500 Dollar.
Die Höhe der Bezahlung gilt sogar für die an Exzesse gewohnten Amerikaner
als ungewöhnlich. Doch nichts um Quattrone ist gewöhnlich. Da ist nur schon der traditionelle Kulturbruch zwischen Investmentbankern und Retail-bankern, der sich heute bei fast jeder international tätigen Bankengruppe zeigt. Auf der einen Seite stehen die aggressiven Investmentbanker, die für Fantasiegehälter Milliardendeals einfädeln, auf der anderen Seite die «eher biederen Bankbeamten, die Kredite zuteilen, Konten verwalten und in Treue fast lebenslang ihrer Bank dienen», wie es der «Spiegel» beschrieben hat.
Bei Quattrone und seinen Leuten mischt sich das Wesen des schillernden Investmentbankers zusätzlich mit der Attitüde, die im Hightech-Mekka Silicon Valley herrscht. «Mein Job ist es, Ideen zu verstehen und zu bewerten, von denen vorher niemand auf der Welt etwas gehört hat», sagt er.
Die Verbindung zu den Internet-Gründern ist eng. Viele sind nur darum zu Multimillionären geworden, weil die Quattrone-Truppe ihre Buden erfolgreich an die Börse gebracht hat. «Sie brauchen uns, weil sie oft nicht selbst in der Lage sind, ihre Ideen so zu artikulieren, dass die Investoren sie verstehen.» Diese wiederum brauchen die «Geeks» – die Gecken –, wie sich die Internet-Gründer selber nennen. Denn die Finanzierung einer erfolgreichen Web-Firma bringt der Bank mitunter Gewinne in dreistelliger Millionenhöhe. Mit den Internet-Freaks, die schon mal auf dem Skateboard zum Meeting anreisen, muss der passende Umgangston gefunden werden. «Ich versuche Sprache und Kultur mit ihnen zu teilen», sagt Quattrone.
Nicht nur Hemden gewaschen werden im Palo-Alto-Team am Arbeitsplatz, auch gegessen wird am Pult: Nach 19 Uhr liefern Restaurants der Umgebung die Menüs an. Das Gebäude ist rund um die Uhr offen. Der Kopierdienst in der Bibliothek arbeitet bis zwei Uhr nachts.
Für Douglas Chu, einen der jüngeren Mitarbeiter der Gruppe, der in seinem Büro im offenen Hemd über Marktanalysen brütet, sind die langen Arbeitstage kein Thema: «Eigeninteresse und Firmeninteresse gehen ineinander über», sagt er lächelnd. Auf seinem Pult steht ein Foto, das seine Frau und sein kleines Kind zeigt. Für seine Familie habe er leider zu wenig Zeit.
Dafür stimmt der Lohn. Auch wenn seit den Berichten über die Top-Bezahlung im Tech-Group-Hauptquartier über Löhne geschwiegen wird, sickert einiges durch. Über Chus Ex-Kollege Bill Burnham etwa, den Analysten für Internet- Aktien, schrieb das «Wall Street Journal», dass er vier Millionen jährlich nach Hause trage – nicht schlecht für einen 28-Jährigen. Auch Burnham gibt sich gern als Workaholic. Auf die Anfrage nach einem Interview liess er ausrichten, morgens um fünf sei für ihn okay. Eine japanische Venture-Kapital-Firma warb Burnham kürzlich ab.
Mit dem Arbeitsrhythmus kokettieren Banker wie Kunden. Der 27-jährige Calvin Lui, Gründer der Internet-Bude TheMan.com, erzählte, dass er während vier Monaten 17 Stunden am Tag gearbeitet hat. Sein Kollege Aaron Ross, 27, gibt zu, dass ein soziales Leben kaum noch drin liegt. Das störe ihn aber nicht. «Mich mit Frauen zum Rendezvous zu treffen langweilt mich», sagt Ross, «vor allem, wenn sie nicht in der Technologie-Industrie sind.» Dann wisse er nicht, worüber reden. Für Sex oder eine Beziehung haben viele im Silicon Valley ohnehin kaum Zeit – das hält nur vom Geldverdienen ab.
Bei den Tech-Bankern der CS ist nichts von der Testosteron-trächtigen Atmosphäre zu spüren, die die Welt der Investmentbanker an der Wallstreet prägt. Während in den Trading Rooms in New York sexistische Sprüche gang und gäbe sind, präsentiert sich die Quattrone-Truppe politisch korrekt. Der Umgang der Mitarbeiter – ein Drittel sind Frauen – ist von ausgewählter Höflichkeit. Auswirkung des aufgeklärten Tones an der nahen Stanford-Universität, deren Schulbänke viele Internet-Freaks noch vor kurzem gedrückt haben.
Eine andere Eigenschaft, die die CSFB-Leute mit ihren Kunden gemeinsam haben, ist die Freude an technischem Spielzeug. Fast jeder im Quattrone-Team hat sich hochgerüstet mit mehreren Laptop-Computern, Palm-Pilots, Internet-zugängigen Handys, drahtlosen Kopfhörer-Telefonen. Für die High-tech-Banker ein Muss, am Puls der technischen Neuerungen zu bleiben. Schliesslich sollen sie aus der Fülle von Internet-Firmen jene orten, die eine rosa Zukunft versprechen. Und das Herz der Anleger höher schlagen lassen.
Quattrone und sein Team machen vor allem drei Dinge: Sie bringen junge Unternehmen an die Börse und bereiten das Initial Public Offering (IPO) vor. Sie organisieren Firmenübernahmen und Fusionen, sie betreuen ihre Kunden vor und nach Börsengang oder Fusion, etwa mit Geldbeschaffungen bei Investoren.
90 Prozent aller Finanzierungsanfragen werden im Anfangsstadium abge-blockt. Was übrig bleibt, ist imposant genug. Im vergangenen Juni etwa wurd allein eine Milliarde für den Discountbroker TD Waterhouse beschafft – der bisher grösste Internet-Börsengang. Auch in Europa geht der grösste Internet-Deal auf das Konto der CSFB: die Finanzierung der britischen Internet-Firma Freeserve. CSFB ist sowohl bei den IPOs als auch bei den Firmenfusionen die Nummer eins im Markt. Für jeden erfolgreichen Deal muss ein für die Planung von Firmenanlässen eingestellter Mitarbeiter eine Weinflasche mit speziellem Firmen-Etikett kreieren – die Weinsammlung der CSFB wächst rasant.
Die Technologie-Gruppe ist eine der unabhängigsten CS-Einheiten. Weder Konzernchef Lukas Mühlemann noch Präsident Rainer E. Gut waren je bei den Silicon-Valley-Bankern zum Kontrollbesuch. An der langen Leine geführt, müssen sie höchstens mal in New York beim US-Statthalter, CSFB-Chef Allan Wheat, vorsprechen, etwa bei grösseren strategischen Entscheiden. Die Zusammenarbeit wird von beiden Seiten als «hervorragend» beschrieben.
Mühlemann und Gut haben wenig Grund, in den Geschäftsgang einzugreifen. Quattrones Leistungsausweis ist tadellos. Die Internet-Firmen unter Obhut der CSFB haben ihren Wert um durchschnittlich 380 Prozent gesteigert. An-gesichts des Top-Ergebnisses rennen die Kunden der CSFB die Türen ein. Da drücken die Chefs aus der Schweiz auch bei Extravaganzen ein Auge zu. Etwa wenn Golfspieler Quattrone die Namen seiner Lieblingsgreens auf die Türen der Sitzungsräume schrauben lässt. Oder wenn er auf Spesen 100 Kunden zum Skifahren nach Aspen in Colorado lädt.
Was in der Konzernzentrale in Zürich für Stirnrunzeln sorgen mag, ist im Silicon Valley business as usual. Enge Kontakte sind im schnellen Geschäft mit den Internet-Start-ups überlebenswichtig. Quattrone war der erste Investmentbanker, der darauf bestand, im Silicon Valley und nicht in den Finanzzentren stationiert zu sein. «Eng am Puls des Geschehens zu sein, ist in diesem Geschäft entscheidend», sagt Quattrone-Mitstreiter George Boutros.
Ein Grossteil der in edlem Holz ge-haltenen und mit feinen Teppichen ausgelegten Büros ist leer. «Unsere Leute reisen konstant», sagt der Pressechef beim Rundgang durch das Hauptquartier. Auch wenn die Technologie-Gruppe Büros im nahen San Francisco, in New York, Boston, London und Hongkong hat, wollen viele Kunden mit den Cracks aus Palo Alto persönlich zusammentreffen. Das Team von Quattrone ist eng zusammengeschweisst. Die Managing Partners von Quattrone, George Boutros und Bill Brady, haben mit ihm bereits bei der US-Bank Morgan Stanley zusammengearbeitet. Sie sind ihm 1996 zur Deutschen Bank und 1998 zur CS gefolgt. Wie der Grossteil seines 130-köpfigen Teams.
«Ich würde mit Frank überallhin gehen», sagt Büroangestellte Lucy Montilla. Für das Team soll die CS über eine Milliarde bezahlt haben. Auch wenn Gerüchte über die hohen Lohnsummen von Quattrone & Co. von CS-Presseleuten als «stark übertrieben» abgetan werden, dürfte sich der Wechsel auch für die Mitarbeiter des Starbankers ausbezahlt haben. Besonders im abgelaufenen Börsenjahr, das ganz im Zeichen der Hightechies stand.