Global Village

Global Village

Am Weltwirtschaftsgipfel in Davos treffen sich die Mächtigen der Erde. Doch die Gegner formieren sich zum Widerstand.

Davos goes global. Der US-amerikanische TV-Weltsender CNN fällt ins Bündnerland ein und verschiebt sein Londoner Studio in die Schweizer Berge. Auch Networks aus Japan, Mexiko und Südafrika haben ihre Satelliten-Empfänger in Davos installiert. 500 Fernsehjournalisten, Kameraleute und Tontechniker haben nur eins im Sinn: das 30. World Economic Forum (WEF) weltweit in Szene zu setzen.

Doch nicht das Jubiläum hat den Medientross in Bewegung gesetzt, sondern Bill Clinton. Als erster US-Präsident überhaupt besucht er am Samstag samt Staff und Bodyguards das Forum und versetzt Davos in helle Aufregung, nachdem er zuvor schon die Logistiker des Flughafens Zürich ins Schwitzen gebracht hat. Am Mittwoch waren für den sechsstündigen Präsidentenbesuch vier Grossraumflugzeuge der Typen Galaxy und Starlifter abzufertigen, die, beladen mit einer Flotte von 40 Autos, 10 Helikoptern und sonstigem Equipment, eingeflogen waren. Die Amerikaner bringen alles selber mit, sogar das Licht, um Clintons Air Force Two bei der Landung zu beleuchten.

Wo der Präsident der letzten Supermacht vom Himmel kommt, ist die Weltpolitik nicht fern. In Davos will sich Clinton mit Israels Ministerpräsident Ehud Barak und Palästinenser-Führer Yassir Arafat treffen. Nahost-Gipfel in den Schweizer Bergen.
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«Natürlich bin ich sehr stolz, dass Clinton kommt», sagt Forums-Gründer Klaus Schwab, während um ihn herum gesägt, gehämmert und gebohrt wird. Drei Tage vor dem grossen Event wird das Davoser Kongresszentrum zur Hochsicherheitszone umgebaut. Was vor drei Jahrzehnten mit einem Grüppchen europäischer Manager begann, ist zum Gipfel der Mächtigen geworden – streng bewacht von Polizei und Armee.

Doch nicht nur die Top-Shots aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik treffen sich zum grossen Stelldichein. Unterwegs ist auch die ganze Gegenmacht: laute Basis- und Bürgergruppen und einflussreiche regierungsunabhängige Organisationen – NGOs, wie sie neudeutsch genannt werden, Non-Governmental Organisations.

Während radikale Splittergruppen im Internet zum Sturm auf die Alpenfestung aufrufen, «um einen kleinen Beitrag zu leisten zur Zersetzung des morschen Kapitalismus», fordern die Besonnenen ein Mitspracherecht im Reigen der Mächtigen. Sie warnen vor der rasenden Globalisierung, die soziale Ordnungen zerrütte, Ungerechtigkeit schüre, die Menschen ihrer Würde beraube, den Planeten plündere und die Armen ärmer und die Reichen reicher mache.

Das mag eine verkürzte Sicht der Globalisierung sein, mobilisierend wirkt sie allemal. Seit die NGOs vor zwei Monaten das Gipfeltreffen der Welthandels-Organisation (WTO) im amerikanischen Seattle sprengten, strotzt die Basis vor Selbstvertrauen. Schaffen wir zwei, drei, viele Seattle lautet die Losung.

Der Erfolg der NGOs beim Welthandelsgipfel in Seattle ist auch der Erfolg des Internets, des schnellsten, effizientesten und preisgünstigsten Kommunikationsmittels der Zeit. Rund zweihundert vernetzte Bürgergruppen – vom WWF über Greenpeace, von Friends of the Earth zu Globalization Challenge Initiative – haben übers World Wide Web die Massen mobilisiert und so bereits im Vorfeld beträchtlich Sand ins Getriebe der WTO-Maschine gestreut.

Am Eröffnungstag blockierten rund 100 000 Demonstranten die Zufahrtswege zum Tagungszentrum. Weder die nächtliche Ausgangssperre noch Polizeiknüppel und Tränengas konnten die bunt zusammengewürfelte Masse – vom «Wall Street Journal» als «WTO-Woodstock» bezeichnet – von weiteren Aktionen abhalten. «Wenn man das Volk vergisst, dann ruft es sich in Erinnerung», kommentierte Frankreichs Wirtschaftsminister Christian Sautter den erzwungenen Abbruch der WTO-Verhandlungen.

Nach Seattle nun Davos?
In der US-amerikanischen Westküsten-Stadt wurden die Ordnungskräfte von den Aktivisten niedergerungen. Und es war der Schweizer Wirtschaftsminister Pascal Couchepin, der öffentlich das Sicherheitsdispositiv der Amerikaner harsch kritisierte. In Davos will der Bundesrat mit einem Kontingent der Festungswacht für Ruhe und Ordnung sorgen. «Wir lassen uns nicht aufhalten», antworten die Kombattanten auf den Web-Sites.

CNN, Clinton, Davos – gibt es eine bessere Szenerie für den Protest? «Seattle war ein entscheidender Sieg», triumphiert die bekannte Aktivistin der Nicht-Regierungsorganisationen, Susan George, und folgert: «Verletzt, gedemütigt und auf Revanche sinnend, werden die Meistersinger des Neoliberalismus ihre Truppen erneut in Stellung bringen.»

Tatsächlich versammeln sich in den nächsten Tagen in Davos weniger die Truppen – mal abgesehen vom Detachement der Festungswacht – als vielmehr die Meistersinger selbst. Erwartet werden über tausend Wirtschaftsführer, darunter die Top-Shots von Coca-Cola, Deutscher Bank, Bertelsmann, ABB, Ford, Sony, General Electric, Nestlé, Novartis, Nike, McDonald’s, Shell, Microsoft.

Diese von den NGOs als «Herren der Welt» apostrophierten Manager repräsentieren einen Umsatz von rund 6000 000 000 000 Dollar, in Worten: sechs Billionen. Ergänzt wird der Tross der Global Players der Weltwirtschaft mit 250 Spitzenpolitikern und Staatspräsidenten, Bill Clinton inklusive. Weiter dürfen 250 Wissenschaftler sowie 250 Chefredaktoren und Verlagsleiter anwesend sein. Wer also zur Weltelite gehören oder zumindest für Augenblicke deren Nähe spüren möchte, ist in den nächsten Tagen in Davos am richtigen Ort.

Geboten wird einiges fürs Geld (Eintritt 9000 Franken): grosse Reden grosser Männer. 350 Workshops, in deren Programm ein Wort besonders oft vorkommt: «challenge» (Herausforderung). Und wer glaubt, dass die Welt noch zu verbessern ist, bekommt in Davos die Bestätigung dieses Glaubens – mitsamt einem Aktionsprogramm für das laufende Jahr, zusammengestellt von den Auserlesensten unter den Auserlesenen, den World Economic Leaders.

Davos, der Gipfel der Mächtigen? Präsidenten verfeindeter Staaten wie Nord- und Südkorea oder Israel und Ägypten haben sich hier erstmals gemeinsam an einen Tisch gesetzt. Gorbatschows Ideen der Perestroika hatten am WEF Premiere. Bill Gates von Microsoft, Andy Groves vom Chiphersteller Intel und Kofi Annan von der Uno sprachen im Plenum und auch Wiktor Tschernomyrdin und Henry Kissinger und Yassir Arafat und Hosi Mubarak und Jiang Zemin und Margaret Thatcher. Ohne Einladung blieben bislang Fidel Castro oder der Dalai-Lama.

Für den US-Diplomaten Richard Holbrooke, der den Friedensvertrag für Bosnien ausarbeitete, ist das Forum von Davos «einer der grössten Bluffs der Welt». «Grosse Reden, kleine Wirkung», stellt Holbrooke trocken fest.

Der «Geist von Davos», den der WEF-Gründer Klaus Schwab gerne und häufig bemüht, wenn er von der Bedeutung der Veranstaltung spricht, meint jedoch etwas anderes: das Weltwirtschafts-Forum als eine Mischung aus Ideenbörse, Zukunftswerkstatt und Kontakthof.

Dadurch, dass die einflussreichsten Meinungsführer miteinander diskutieren, komme es zu einem «kollektiven Urteil», meint WEF-Schwab: «Am Ende haben alle ein Gemeinschaftsgefühl, dass in Zukunft etwas gut oder eben nicht gut gehen wird.» Das bedeutet: Was die Top-Shots mit nach Hause nehmen – seien es Ideen, Ideologien, Hoffnungen, Feindbilder –, beinflusst den Gang der Dinge in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.

Anders gesagt: Der «Geist von Davos» verflüchtigt sich nicht in der Bündner Höhenluft, er schlägt auf das Denken und Handeln der Einflussreichen und damit auf das Leben der Normalbürger durch.

Also doch: Davos – Gipfel der Macht. «Es ist unbestritten, dass das Weltwirtschafts-Forum einen grossen Einfluss auf die Geschwindigkeit und den Lauf der Globalisierung ausübt», stellt die regierungsunabhängige Dritt-Welt-Organisation Erklärung von Bern (EvB) in ihrer aktuellen Schrift «Freie Sicht auf Davos!» fest. In der Tat kommt der Bezeichnung Global Village noch eine zweite Bedeutung zu: 1991 lautete das Hauptthema des WEF «Die neue Richtung für die globale Führung».

1996 hiess das Motto «Die Globalisierung stärken» und 1999 «Auswirkungen der Globalisierung in den Griff bekommen». Die Revolte in Seattle hat gezeigt, dass die Global Leaders das Thema noch nicht ganz im Griff haben. Was ihnen bleibt, ist die Erkenntnis, dass es den NGOs gelang, was sie selbst sich auf dem Gipfel in Davos 1997 vorgenommen hatten: «Building the Network Society» – der Aufbau einer vernetzten Gesellschaft. Schnell, effizient und umfassend haben die Bürgergruppen sich vernetzt, Informationen ausgetauscht, sich für Aktionen zusammengeschlossen, Massen mobilisiert und geschickt die Medien eingespannt. NGOs sind zu einer einflussreichen politischen Bewegung, zur dritten Kraft zwischen Staat und Wirtschaft herangewachsen.

Die Uno schätzt, dass weltweit über eine Million NGOs aktiv sind, von kleinen christlichen Basisgruppen, die in der Dritten Welt Schulen betreiben, über Bürger-Initiativen zum Schutz von Meeressäugern bis zur gewaltigen Aktions- und Propaganda-Maschine Greenpeace. «Macht und Einfluss von unabhängigen Pressure Groups werden in den kommenden Jahren unerbittlich wachsen», stellt die internationale PR-Agentur EIC fest.

NGOs, die «Neue Internationale», ist überall dort erfolgreich, wo Regierungen, Behörden, Parteien und Unternehmer den Anliegen der Bürger zu wenig Aufmerksamkeit schenken oder die Dinge aus Eigeninteresse und Opportunismus nicht anpacken. Der Sturm auf die WTO in Seattle ist dabei nur
der letzte einer ganzen Reihe von NGO-Siegen. Greenpeace gegen Shell, Amnesty gegen China, Médecins sans Frontières gegen den Sudan, Friends of the Earth gegen den Gen-Multi Monsanto, Jubilee 2000 gegen den Weltwährungs-Fonds, WWF gegen Nike, EvB gegen den Internationalen Währungs-Fonds.

Für Politverdrossene sind NGOs so anziehend, weil sie eine Art Supermarkt politischer Präferenzen bieten, mit Labels, Auswahl und Selbstbedienung. Sich heute für die Rettung der Zwergwale engagieren. Morgen für die Auslieferung des Ex-Diktators Pinochets demonstrieren. Übermorgen eine Kerze für die Unabhängigkeit Tibets ins Fenster stellen. Am nächsten Tag die Schweizer Bergbauernhilfe unterstützen. Politischer Aktivismus zum Zappen und als Instant-Erlebnis.

Aber kein Zweifel, nicht die Uno, nicht die EU, auch nicht Parteien oder Regierungen, die NGOs sind am Beginn des 21. Jahrhunderts für Millionen von Bürgern die Hoffnungsträger für eine bessere Welt. NGOs, die Lobby des
guten Gewissens. Dabei gibt es die Tendenz, den kleinen David mit Kritik zu schonen und ihm auch grobe Fehler nachzusehen, wie bei den Berechnungen der Giftrückstände auf der Shell-Ölplattform «Brent Spar» und beim Übereifer in Ruandas Flüchtlingslagern, der den Völkermord zwischen Hutu und Tutsi begünstigte.

Immer mehr Regierungen, multinationale Unternehmen und Institutionen wie Weltbank oder Uno nehmen die NGOs als Experten oder schlicht als «Volkes Stimme» ernst. Luzius Wasescha beispielsweise, Verantwortlicher für die Strategie der Schweiz gegenüber der WTO, steht nach eigenem Bekunden vor jeder Verhandlungsrunde der Welthandels-Organisation in «regem Kontakt» mit den NGOs. Und bei Novartis zählt der «offene Dialog mit NGOs seit langem zur normalen Geschäftspolitik».

Die Bürger-Bewegung als Frühwarnsystem und als Öko- und Sozialetikette für Staat und Wirtschaft?

Im Programm des Davoser Gipfels stehen Themen wie «Auf der Suche nach Robin Hood: NGO – Feinde oder Partner in der globalen Agenda?» oder «Ein neuer Bruder beobachtet dich: Die Beziehungen zwischen Multis und Basisorganisationen». Die Worldleader in Davos sind vielleicht noch etwas skeptisch. Aber weil sie wissen, was aufgebrachte Bürger schon alles angerichtet haben, steht ihnen der Sinn nach guten Beziehungen zu den neuen Players. So haben sie einem Dutzend international bekannter NGO-Aktivisten die Tür zum exklusiven Verein geöffnet. Einer von ihnen wird unter Leitung des früheren ABB-Präsidenten Percy Barnevik mit Mexikos Staats- und Regierungschef Ernesto Zedillo und WTO-Generaldirektor Mike Moore die Klingen kreuzen.

Für die radikalen Aktivisten, die zur Demo in Davos aufrufen, ist jedes Wort am Weltwirtschafts-Forum eines zu viel. Sie wollen nicht diskutieren, sondern die Herren der Welt entmachten. Am besten gleich diesen Samstag. Nach Seattle nun Davos?

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