Die Schweizer Musterknaben
Sie ziehen die Mädchen an und geben sich gerne sexy. Doch die Schweizer Spitzensportler sind nichts mehr als erotisches Blendwerk.
Früher musste er die Fussballer nach Spielen manchmal im Puff abholen, sie bei den verschiedenen Mädchen zusammensammeln. «Auf unseren Reisen nach Südost-Europa war einiges los», erzählt Heinz Bühlmann, der Mannschaftsarzt von GC. Auch Beat Villiger, der Teamarzt des HC Davos, erinnert sich an Jubel, Trubel, Heiterkeit unter den Spielern. Vor allem um die Eishockey-WM in Wien (1987) und Prag (1992) ranken sich die haarsträubendsten Sex-Geschichten aus dem Schweizer Lager. Das scheint alles Vergangenheit zu sein: Die Schweizer outen sich neuerdings als züchtige Musterknaben.
Dabei wirken sie freizügiger denn je, die Männer mit den strammen Waden und den knackigen Hintern. Spitzen-sportler sind die neuen Sexsymbole – und verdienen sogar daran. Kubilay Türkyilmaz führt seinen Edelkörper auf dem Laufsteg spazieren, und Ramon Vega lässt im Muskelshirt die Mädels dahinschmelzen. Mit Waschbrettbauch und vollen Konten sind die Sportskanonen der Hochglanztraum einer ganzen Generation von Frauen.
Doch der erotische Schein trügt. Das knappe Tenü ist nichts als eine Mogelpackung. Hinter der sinnlichen Anmache stecken keinerlei Hintergedanken. Den Heerscharen von verliebten Teenies, die treu jeden Match besuchen, bleiben einzig die Träume von heissen Stelldicheins. Die Stars kommen nur noch auf Postern in die Schlafzimmer der weiblichen Fans. Denn auf der Polstergruppe im trauten Sportlerheim warten die langjährigen Freundinnen und Gattinnen auf ihre gezähmten Machos.
Sie haben offenbar keinen Grund zur Sorge. Noch nie gaben sich die Schweizer Top-Sportler so seriös. Die Stars auf dem Rasen und auf dem Eis sind die neuen Schweizer Biedermänner. Anstatt sich mit Ausschweifungen zu brüsten, loben sie lieber ihre eheliche Treue. Das geht so weit, dass sich sogar schon der «Blick» unlängst fragte, ob unsere Fussballer zu früh heirateten. GC-Legende Ruedi Elsener erinnert sich: «Mädchen, die vor dem Stadion gewartet hatten, gehörten dazu. Man hatte Gelegenheit – warum sie nicht auskosten? Aber heute sind die Zeiten anders.»
Selbst Beat Equilino, der Verteidiger-Star vom HC Davos mit dem Casanova-Image, gibt sich harmlos und monogam. Er fühlt sich geschmeichelt von den Frauen, die ihn umschwärmen. Doch damit hat sichs: «In Davos sind die Frauen auf Hockeyspieler fixiert. Im Ausgang merkt man schon, dass sie interessiert sind.» Seinen Ruf als Lenden-Held hat er angeblich nicht verdient: «Da lässt man sich mal auf einen Drink einladen und unterhält sich ein wenig – und schon gibt es ein Gerede.» Auch Equilino steckt in einer festen Beziehung. «Wenn ich keine hätte, würde ich schon mehr auf den Putz hauen. Doch ich weiss, wo meine Grenzen sind.»
Keiner will mehr Platzhirsch sein.
An den Mädchen kann es nicht liegen: «Auch heute noch warten junge weibliche Fans in den Hotels und machen die Spieler an», weiss der Davoser Teamarzt Beat Villiger. Was ist los mit den ungestümen Sportskanonen der Siebziger- und Achzigerjahre? GC-Arzt Bühlmann: «Aids war ein Schock für alle. Die Angst davor sitzt tief. Heute sind Eskapaden kein Thema mehr. Sogar jüngere Spieler sind schon in festen Beziehungen». Doch es ist nicht nur die Furcht vor einer HIV-Infektion, die die Fussballer an Haus und Herd bindet. Der Leistungsdruck auf die Sportstars wird immer grösser. « Bei der heutigen Belastung können sich die Spieler ein Abenteuer gar nicht mehr erlauben. Wenn sie zwei-, dreimal nicht gut spielen, verlieren sie ihren Stammplatz», sagt Evelyne Wirz, Physiotherapeutin bei GC. Und Equilino sieht als Grund für die neue Biederkeit die deutlich härteren Trainingsbedingungen.
Sogar der «erotischste Fussballer der Nationalliga A» («SonntagsBlick»), der 26-jährige Marcelo Sander, ist etwa so unsittlich wie eine Cola-Light – sein Lieblingsgetränk. Die einzige Frau, die ihn überhaupt interessiert, ist seine langjährige Freundin und zukünftige Gattin. Er wird nicht müde, ihre Ausstrahlung zu preisen. Seine anzüglichste Bemerkung im «SonntagsBlick»-Interview bezieht sich auf sein gelegentliches Rasieren der Brustbehaarung. Anständig, pflichtbewusst und treu, das ist offenbar der klassische Schweizer Sportprofi der Gegenwart.
Nicht überall tragen die Sportstars Keuschheitsgürtel. «Die Hockeystars aus Schweden und Finnland sind bekannt dafür, dass sie keine Chorknaben sind und sich tüchtig ausleben», sagt Franz Lauener, Arzt der Schweizer Eishockeynati. Und im Fussball-Mutterland Grossbritannien sorgen die Kultkicker schon mal für einen spritzigen Skandal. Dort ist lange nicht jeder so seriös wie das Teenie-Idol David Beckham. Zwei Beispiele aus jüngster Vergangenheit: Die Manchester United-Stars Andy Cole und Dwight Yorke sollen sich mit einem 18-jährigen Groupie zu dritt vergnügt haben. Und Tottenhams Sexsymbol David Ginola wurde eines One-Night-Ständchens mit einem Fernseh-Starlet überführt.
Den stichhaltigsten Beweis für das entspannte Verhältnis der englischen Sportmachos zur Polygamie liefert eine neue medizinische Studie: Paul Oyudo, Arzt am Westfield College in London, fand heraus, dass die Profikicker doppelt so viele wechselnde Bettgenossinnen haben wie normale Männer. Das schadet nicht nur ihrem Ruf, sondern auch ihren Beinen: Viele englische Fussball-Profis kosten jährlich ein Vermögen, weil sie ihre hochbezahlten Knie auffallend oft auf der Ersatzbank kurieren müssen. Oyudo konnte belegen, dass die teuren Beine nicht etwa auf dem Rasen, sondern im Bett zu Schaden kommen. Die Erklärung: Viele der havarierten Spieler leiden am berüchtigten Reiter-symptom – auch Sara-Phänomen genannt. Es ist die verbreitetste Geschlechtskrankheit in den Industrienationen. Und sie wird nicht durch Treue übertragen. Zu den Spätfolgen gehört oft eine Entzündung des Kniegelenks. Schuld sind beim Geschlechtsverkehr übertragene Bakterien.
Viele Schweizer Sportärzte kennen die möglichen Folgen des Reitersyndroms für die Gelenke – allerdings nicht aus der eigenen Praxis. Roger Berbig, Extorhüter bei den Grasshoppers und Sportarzt an der Klinik Hirslanden in Zürich: «Kaum hatte unser Urologe die Studie gelesen, stand er schon bei mir auf der Matte und wollte wissen, ob ich auch Sara- Patienten hätte. Ich musste ihn enttäuschen.» Auch der Eishockey-Arzt Franz Lauener hat bis jetzt keinen einzigen Sara-Fall erlebt. Obwohl – so sein Kollege Villiger – «die Hockeyaner die schönsten Spieler sind, ausgestattet mit einem sehr edlen Körper.» Aber die Schönlinge verhalten sich vorbildlich. Beispiel gefällig? Als ihnen Natitrainer Ralph Krueger bei einem Zusammenzug unlängst einen Tag frei gab, ruhten sie sich nur im Hotel aus, anstatt über die Stränge zu schlagen. Die neue Seriosität weiss auch Bühlmann zu belegen: «Ich habe keinen Patienten mit dem Reitersyndrom. Früher allerdings waren urogenitale Erkrankungen, wie zum Beispiel der Tripper, verbreitet.
Nur einer will nichts wissen von der freizügigen Vergangenheit der Schweizer Topsportler: Ex-Fussball-Star Fritz Künzli: «Das ist alles ein Gerücht. Wir waren genauso seriös wie die Spieler heute.»
Mitarbeit: Sandra Reif-Weder, Elmar Wagner