DiCaprio: «Mein Alltag ist ganz anders»
War Ihnen die Lust am Drehen vergangen?
Leonardo DiCaprio: Nein. Doch nach «Titanic» wollte ich etwas machen, das mich persönlich sehr ansprach. Danny Boyle, der Regisseur meines neuen Films «The Beach», sah in mir einen Partner. Er wollte meinen Input, betrachtete mich nicht nur als angeheuerten Schauspieler. Da wusste ich, dass es stimmte.
–: Fühlten Sie sich beim Dreh zu «Titanic» nicht ernst genommen?
DiCaprio: Das ist es nicht. Um einen aufwändigen Film wie «Titanic» zu machen, braucht es eine Persönlichkeit, die Tausende von Leuten dirigieren kann. Der autoritäre Stil von «Titanic»-Regisseur James Cameron war dafür genau richtig. Aber somit gab es nur wenig Gelegenheit, meine eigenen Ideen einzubringen.
–: Was genau hat Sie an «The Beach» gereizt?
DiCaprio: Der Film erzählt davon, wie abgestumpft meine Generation seelisch ist. Die Figur, die ich spiele, sucht hingegen nach der Realität. Nach wirklichen Emotionen.
–: Kennen Sie diese Sehnsucht?
DiCaprio: Klar, ganz persönlich. Wir sind verwöhnt vom Komfort, vom Luxus. Wir leben unsere Gefühle vor dem TV, im Kino oder an Videogames aus. Wir machen kaum noch Erfahrungen aus erster Hand. Und ich glaube, dass kommende Generationen immer weniger an echten Gefühlen interessiert sein werden.
–: Sie wollen nicht aus der Scheinwelt ausbrechen?
DiCaprio: Ich bewundere den Typ, den ich in «The Beach» spiele. Er ist mutig genug, nach Neuem zu suchen und abseits der Touristenpfade zu reisen. Das habe ich noch nie getan. Ich habe mich nie einer fremden Kultur ausgeliefert. Das braucht viel Mut.
–: Das zentrale Thema von «The Beach» ist die Suche nach dem ultimativen Glück. Was ist Ihre Vorstellung vom Paradies?
DiCaprio: Die Idee vom Paradies ist ein falsches Konzept. Die Menschheit ist nicht fähig, mit dem Paradies umzugehen. Das Paradies ist ein Symbol für unsere Beziehung zur Erde. Wir passen sie uns an, damit unser Leben bequemer wird. Und wir zerstören sie. Ich denke, Glück kann man nur in sich selber finden. Es gibt keinen Platz auf der Welt, wo alle Probleme verschwinden. Kein Ort kann dich vor dir selber schützen. Wenn du reist, nimmst du dich immer selber mit.
–: Viele Leute würden Ihren Reichtum und Ruhm als paradiesisch bezeichnen.
DiCaprio: Ach ja? Ob Arm oder Reich, du bist immer derselbe. Es gibt viele Missverständnisse über das Berühmtsein. Es ist hektisch, und deshalb brauchst du eine Gruppe von Leuten, denen du vertrauen kannst. Das ist deine Umwelt. Nicht die verrückten Fans, Premieren und Paparazzi. Mein Alltag ist ganz anders, als er von den Medien dargestellt wird.
–: Wie lebt es sich als Hollywoods berühmtester Star?
DiCaprio: «Titanic» hat mir beruflich eine neue Welt eröffnet. Heute werden mir die begehrtesten Rollen angeboten, die besten Regisseure wollen mit mir zusammenarbeiten. Das ist eine Chance.
–: Was bedeutet der Ruhm für Ihr Privatleben?
DiCaprio: Man gewöhnt sich nie daran. Es ist lästig, wenn neunzig Prozent von dem, was über dich geschrieben wird, falsch ist. Doch irgendwann musst du es akzeptieren. Du kannst es nicht kontrollieren.
–: Wer sind Sie wirklich?
DiCaprio: O Gott, es fällt mir schwer, über mich zu sprechen. Ich bin sehr sentimental und habe eine enge Bindung zu meinen Eltern. Ihnen verdanke ich meine Karriere und wer ich bin. Ich liebe meine Familie und meine Freunde und bin stolz auf sie. Ich würde alles für sie tun. Das ist, was ich über mich sagen kann.
–: Auf welche Weise haben Ihre Eltern Sie beeinflusst?
DiCaprio: Nach der Trennung meiner Eltern gab mir meine Mutter Stabilität. Sie ist aus Deutschland in die USA eingewandert. Sie brachte mich nach Deutschland zurück, damit ich meine Wurzeln kennen lernte. Sie machte mich zu einem ganzheitlichen Menschen. Auch mein Vater hat viel damit zu tun, wer ich heute bin. Er ist wie ein Buddha für mich. Jemand, der seinen inneren Frieden gefunden hat. Er sagt: «Du musst jeden Morgen gerne deine Hosen anziehen.» Das ist inspirierend.
–: Ihr Vater ist ein Underground-Comic-Künstler, der mit Beatnik- Grössen wie Timothy Leary oder Allen Ginsberg verkehrte. Prägte Sie das?
DiCaprio: Ja. Diese Leute haben mir schon als Kind eine alternative Lebensphilosophie vermittelt. Deshalb fühle ich mich heute zu Dingen hingezogen, die sich abseits der Norm befinden. Mal abgesehen von «Titanic» vielleicht. Mein Vater erzählt noch heute Geschichten über den Schriftsteller Charles Bukows-ki. Er soll mal stockbesoffen in unserer Toilette erbrochen haben. Bukowski habe Zweikämpfe angezettelt und einmal sogar seinen eigenen Tod vorgetäuscht. Als Kind wurde ich von alternativer Kultur beeinflusst. Deshalb sammle ich heute Werke von Künstlern wie Robert Williams, Eric White oder Mark Ryden. Quere Kunst halt.
–: Sie sind Hollywoods grösstes Sex-Symbol. Macht das Spass?
DiCaprio: Darüber denke ich nicht nach. Mit mir hat das nichts zu tun.
–: Aber die Frauen reagieren doch heute anders auf Sie als vor «Titanic»?
DiCaprio: Stimmt. Kürzlich hat ein Mädchen am Flughafen mein Bein gepackt und es nicht mehr loslassen wollen. Es war wie eine Szene aus einem Beatles-Dokfilm. Sie hatte diesen verlorenen, leeren Blick, als würde sie eine Rolle spielen. Ich wollte ihr sagen «Ich bins nur, ein ganz normaler Mensch.» Doch ich hätte wohl nichts sagen können, das sie umgestimmt hätte.
–: Haben solche Zwischenfälle Ihr Frauenbild verändert?
DiCaprio: Nein. Eingebildete Frauen stossen mich ab, das weiss ich. Rachsüchtige Frauen auch. Opportunistische Frauen noch mehr. Was ich an Mädchen mag, ist, was die meisten Menschen attraktiv finden: wenn sie ehrlich und sich selber treu sind; all den kitschigen Kram …
–: Sie sind bekannt dafür, ständig mit einer Entourage von Freunden wie zum Beispiel Toby Maguire und Lukas Haas unterwegs zu sein. Schliessen Sie denn keine neuen Bekanntschaften mehr?
DiCaprio: Entourage? Ob Sies glauben oder nicht: Meine Freunde sind alle Individuen. Ich umgebe mich gerne mit Freunden. Das heisst nicht, dass ich neuen Bekanntschaften abgeneigt bin. Aber wenn mir schon zusätzliche Flugtickets in einem Filmvertrag angeboten werden, wäre es doch eine Verschwendung, meine Freunde nicht mitzunehmen. Sie helfen mir, über mich selber zu lachen.
–: Ist das immer einfach?
DiCaprio: Absolut. Ich lache oft und danke Gott für meine Freunde, die mich auf den Boden zurückbringen. Sie sind für meine geistige Gesundheit extrem wichtig.
–: Können Sie überhaupt mit Ihren Freunden ungestört ausgehen?
DiCaprio: Sicher. Wir haben gewisse Orte, wo wir hingehen. Sogar ich bin nicht immer von Medien umringt. Und wenn ich ausgehe, trage ich Hüte und Brillen. Damit entkomme ich den Fotografen oft.